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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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ihre
    n
    Ma ieren an, Owen, das wird dir helfen.
    Sie schlürfen nicht.»
    Er durchsucht die Müllkippe alter Wissensbrocken in
    seinem Kopf, zur Selbstverteidigung. «Es schmeckt bes-
    ser», erklärt er. «In manchen Gesellschaften wird Schlür-
    fen als Kompliment für den Gastgeber und die Gastgebe-
    rin angesehen.»
    «Sollten wir nicht froh und dankbar sein, dass wir nicht
    in einer solchen Gesellschaft leben? Und du machst noch
    etwas anderes, was wahrhaft schrecklich ist – mit ist es neu-
    lich abends aufgefallen, als wir bei den Achesons zum Es-
    sen waren. Wenn du dein Brot brichst, sind die Stücke nicht
    klein genug, und dann klopfst du mit deinem Buttermesser
    drauf, tap tap tap. Es hat mich ganz verr c
    ü kt gema h
    c t, am
    liebsten hätte ich dir das Brot aus der Hand gerissen.»
    «Na», sagt er, »das wäre eine Le
    n
    ktio in Manieren gewe-
    sen, die zur Erbauung aller gereicht hätte.»
    «Es tut mir Leid, aber ich liebe dich so sehr, da ertrage
    ich es ni ht,
    c wenn du wie ein Tier isst.»
    «Grrr.»
    «Lass die dummen Witze, Lieber. Es ist nicht witzig.
    Es ist dein einziger Fehler. Und, bitte, sieh mich an, wenn
    ich mit dir spreche.» Sollte er den Blick abgewendet ha-
    ben – zum Beispiel auf die Zeitung auf dem Küchentisch

    406
    mit ihren grauenvollen Schlagzeilen nationaler und inter-
    nationaler Tragödien –, dann nur in dem konstruktiven
    Bemühen, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu tun, wie es
    Hochleistungscomputer in der großen Zeit des Timesha-
    ring gemacht haben. Es kommt ihm wirklich so vor, wenn
    Julia ihm die Details ihrer Krankenversicherung oder ihrer
    nächsten Europareise erklärt, dass die englische Sprache in
    ihrem Mund eine zu komplizierte Syntax hat – sie dehnt
    einen schlichten Gedanken, der vom Verstand in ein paar
    Milliardstel einer Sekunde erfasse werden kann› zu einem
    mehrere Minuten dauernden Absatz aus. Einer der älteren
    Jungen damals in Willow, wahrscheinlich Marty Naftzin-
    ger, der sich mit solchen Dingen beschäftigte, vertraute
    ihm diese Kleinstadtweisheit an: «Je mehr ein Mädchen
    redet, desto mehr fickt sie auch. Der Mund und die Fotze»,
    so seine Theorie, «sind durch den langen Nerv, der in ihrer
    Wirbelsäule runterläuft, verbunden.»
    Praktische Erfahrung hatte es bestätigt. Phyllis hatte
    zögernd gesprochen, als hätte die Sprache der Zahlen ihre
    Zunge besessen oder als peinigte sie die grundlegende
    Ungenauigkeit der Sprache, während Julia ihn gleich bei
    ihrer ersten Begegnung, damals, bei der Krankenhaus-
    Fundraising-Party, mit ihrer exzellenten Aussprache und
    der glitzernden Vollständigkeit ihrer Sätze verblüfft hatte.
    Das Sprechen war für sie, wie auch für ihren Mann, eine
    Freude, eine Art öffentlicher Selbstbefriedigung, und eines
    der Dinge, die Owen verwirrten, war, dass ein so gut auf-
    einander abgestimmtes Paar es zugelassen hatte, auseinan-
    der gerissen zu werden. Aber Idealität wird bei einem Paar
    Grund zu Unzufriedenheit und Aufbegehren. Amerikaner
    müssen das Gefühl haben, dass da Raum für Verbesserung
    ist, für Fortschritt.

    407
    Rückblickend ist er gerührt davon, wie vollständig sei-
    ne beiden Ehefrauen ihm gegeben haben, was er haben
    wollte. Phyllis hatte ihn, in Cambridge, in das snobistische
    Geistesleben emporgehoben, und Julia hatte ihm, in Has-
    kells Crossing, das Leben in bürgerlicher Muße ermöglicht.
    Wenn beide Leben etwas weniger als vollständig waren –
    weniger vollständig, als seine Mutter, die seine Fähigkei-
    ten überschätzte, ihm gewünscht hätte –, dann ist das Le-
    ben selbst unvollständig, eine flüchtige Annäherung. Eine
    provisorische Übung, keine fertige Aufführung.
    Die Welt gibt uns gern das, was wir uns wünschen, aber
    was wir empfangen, hat immer teil an der Unvollkommen-
    heit der Welt.
    Er erinnert sich mit Wehmut an sein Leben in Middle
    Falls, eine magische Erforschung seiner männlichen Na-
    tur, vergisst dabei aber die zweifelhafte Unterseite – die
    Angst vor Entdeckung, die gedrängte Kürze der Treffen,
    die Schuld, die an seinen Innereien nagte, bis er Gastritis
    bekam, die unschönen Nachspiele. Bei Faye hatte es die
    Androhung juristischer Schritte gegeben, bei Alissa eine
    Schwangerschaft. Einmal hatten er und Alissa ein Stell-
    dichein am Whitefield’s Rock geplant, in dem Wald, wo er
    und Faye bei dem wunderbaren ersten Mal gewesen wa-
    ren, und die Mitsommermücken machten sich über Alis-
    sas entblößte Haut her. Sie stand
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