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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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Bett
    ergeben – ein Mann, ein junger Mann, der Glätte seines
    blonden Körpers mit dem straffen Hintern nach zu urtei-
    len, auf dem Körper seiner Frau liegt, als bemühte er sich
    um Wiederbelebung oder (was keineswegs das Gleiche ist)
    um Verbergen. Als sich dieser Fremde auf die stumme An-
    weisung der begleitenden Amtspersonen hin erhebt, wird
    der Körper von Owens Frau, auch er nackt, auf dem Rücken
    liegend, sichtbar: der weiße entspannte Bauch, die Brüste,
    flach von der Schwerkraft, ihr teures, vertrautes Geschlecht
    im krausen Bart aus Fell. Sie ist tot, Suizid. Sie hat den Aus-
    weg aus ihrem Schmerz gefunden. Owen denkt: Hätte ich
    mich nicht in ihr Leben eingemischt, wäre sie noch am Leben. Er
    sehnt sich danach, sie zu umarmen und ihr wieder Leben
    einzuhauchen und das G ,
    ift als das seine Existenz auf die
    ihre gewirkt hat, wieder in sich hineinzusaugen.
    Langsam, widerwillig, so wie man seine Aufmerksamkeit
    von einem noch ungelösten Rätsel abwendet, wacht er auf,
    und natürlich ist sie nicht tot; sie ist unten und verbreitet
    den Geruch von Kaffee und die Geräusche einer morgend-
    lichen Nachrichtensendung: mehrere einander neckende
    Stimmen, männliche und weibliche. Verkehr und Wetter,
    beides mag Julia, nie versiegt ihr Interesse daran, an die-
    sen chronischen täglichen Unwägbarkeiten, obwohl sie
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    seit drei Jahren nicht mehr jeden Tag nach Boston fährt. Er
    kann ihre blauen Gummi-Flip-Flops hören, die zu tragen
    sie nicht aufgibt, als wäre sie auf immer jung und für den
    Strand gekleidet, sie klatschen in der Küche hin und her,
    vom Kühlschrank zur Arbeitsfläche zum Frühstückstisch,
    und dann zum Spülbecken und Abfallzerkleinerer und zur
    Spülmaschine, und weiter ins Esszimmer, wo sie ihre Pflan-
    zen gießt. Sie liebt ihre Pflanzen, vielleicht mit demselben
    Gefühlsorgan, mit dem sie das Wetter liebt. Das Geräusch,
    das die Flip-Flops machen, und die Gefahr, die sie für ihre
    Trittsicherheit bedeuten – auf der Treppe rutscht sie im-
    mer wieder aus –, irritieren ihn, aber er mag den Anblick
    ihrer nackten Zehen, leicht gespreizt wie die Zehen an hart
    arbeitenden asiatischen Füßen, die kleinen Gelenke weiß
    von der Anstrengung, die Flip-Flops anzubehalten. Sie ist
    eine zierliche Brünette mit einem kompakten Körper, und
    ihre Haut nimmt, anders als bei seiner ersten Frau, eine
    gesunde, gleichmäßige Bräunung an.
    An manchen Tagen findet er, halb erregt, nur wieder in
    den Schlaf, wenn er an eine der anderen Frauen denkt –
    Alissa oder Vanessa oder Karen oder Faye –, die wie er in
    den sechziger und siebziger Jahren in der Stadt Middle
    Falls, Connecticut, gelebt haben. Seine Hand umfasst sei-
    nen schlaftrunkenen Schwanz, und er erlebt wieder, wie er
    eine von ihnen unter sich, neben sich, über sich hat, wie sie
    sich das Haar zurückstreicht und das Gesicht über seinen
    geschwollenen Mittelpunkt beugt, dessen Nerven sich al-
    lesamt nach feuchter, wissender Berührung drängen; aber
    heute ist kein solcher Tag. Die kräftiger werdende weiße
    Frühlingssonne scheint schonungslos gleißend unter der
    Jalousie hervor. Die wirkliche Welt, ein von seinem Traum
    unverletzter Tiger, wartet. Es ist Zeit, aufzustehen und ei-

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    nen Tag anzugehen, der dem gestrigen Tag ähnelt, einen
    Tag, von dem sein animalischer Optimismus annimmt,
    dass er der erste einer Reihe sich endlos in die Zukunft er-
    streckender Tage ist, von dem jedoch sein – in der Gattung
    Homo sapiens hypertrophiertes – Zerebrum weiß, dass es
    ein weiterer Tag eines abnehmenden, begrenzten Vorrats
    ist.
    Rings um ihrer beider private Anhöhe erwacht die so ge-
    nannte Kleinstadt Haskells Crossing. Das gleich bleibende
    dumpfe Rauschen des Verkehrs dringt durch die Hauswän-
    de aus Holz und Gips und durch den isolierenden Wald
    dahinter. Die Zeitungen – der Boston Globe für ihn, die New
    York Times für sie – sind bereits zugestellt worden. Die Vö-
    gel sind schon seit langem im Gang, die Drosseln picken
    nach Würmern, die Krähen bohren ihren Schnabel in den
    Rasen, auf der Suche nach Larven von Getreidewanzen,
    die Schwalben schnappen sich Mücken aus der Luft, die
    verschiedenen Arten rufen einander zu, jede in ihrem ei-
    genen jubilierenden, von ihrem erbsengroßen Hirn entwi-
    ckelten Code. Auf dem Weg zum Badezim er
    m
    ruft er nach
    unten: «Guten Morgen, Julia!»
    Ihr Ruf schallt zurück: «Owen! Du bist auf!»
    «S h
    c ätzchen, natürlich bin ich auf. Mein
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