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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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Dollar herkäme.»
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    Daddy sagte das etwas bedrückt, als sei das Mackenzie-
    Erbe kein ungetrübtes Vergnügen – eine hoffnungsfrohe
    Phantasie, gemischt mit einer gewissen Zartheit der Kon-
    stitution, und eine wesentliche Unkenntnis davon, wie die
    Welt funktionierte und sich Tag für Tag weiterdrehte und
    einem das Geld aus der Tasche zog.
    Auch der Großvater, in dessen Haus Owen wohnte, hatte
    etwas von einem Träumer; er hatte seine Farm verkauft und
    sein Geld in Aktien angelegt, die wertlos wurden. Er war
    ein Pennsylvania-Deutscher, aber von einem anpassungs-
    fähigen Schlag: Er sprach perfekt Englisch, las getreulich
    die Nachmittagszeitung und schmückte sein Nichtstun mit
    großen Gedanken und eindrucksvollen Sprüchen aus. In
    dem alten Mann mit dem gelbstichigen Schnurrbart, dem
    weißen Haar und den anmutig gestikulierenden Händen
    erkannte Owen die Schwermut des partiellen Außensei-
    ters, der in der einzigen Umgebung, die er kannte, seinen
    Weg zu den Q

    uellen der Macht, zu den entscheidenden
    Geheimnissen nicht richtig gefunden hatte.
    «Pop hätte Politiker werden sollen, er redet wie ein Was-
    serfall», sagte sein Schwiegersohn öfter, doch selbst Owen
    sah, dass sein Großvater zu penibel für die Politik war, zu
    passiv im Denken, so wie er sich durch den Tag bewegte,
    vom Gemüsegarten, wo er hackte und Unkraut jätete und
    seine Zigarre rauchen konnte, in sein Schlafzimmer oben,
    wo er ein Nickerchen machte, zu dem Sofa mit der aus
    Rohr geflochtenen Lehne im Wohnzimmer, wo er saß und
    daraufwartete, dass Grammy das Abendessen zubereitete.
    Sein Haus stand zwar in Willow, gehörte aber, abgesehen
    von dem einzelnen Kind darin und Grammy, nicht richtig
    dazu. Grammy war eine Yoder, die Jüngste von zehn Ge-
    schwistern, Angehörige einer großen Sippschaft, die über

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    das ganze County verteilt lebte. In Willow wohnten vie-
    le ihrer Verwandten, Cousinen und Nichten und Neffen;
    manchmal verdiente sie sich ein bisschen Geld, indem sie
    ihnen beim Frühjahrsputz half oder das Essen für eine gro-
    ße Zusammenkunft mit zubereitete und servierte. Diese
    Verwandten hatten Geld: Sie besaßen kleine Geschäfte
    oder hatten gute Stellungen in den Strumpffabriken; sie
    trugen schöne Kleider und machten Ferien in den Poconos
    oder an der Küste von Jersey. Als Owen einmal hörte, wie
    sie liebevoll von «Aunt Annie» sprachen, in dem schlep-
    penden sentimentalen Ton, in den Leute vom Lande einst
    so schnell hineingerieten, fiel es ihm im ersten Moment
    schwer zu begreifen, dass sie Grammy meinten. Für andere
    M
    h
    ensc en, so wurde ihm bewusst, sind wir andere Men-
    schen.
    Seit Owen nicht mehr dort wohnte, kam ihm seine Hei-
    matstadt wie ein unschuldiger, kostbarer Ort vor; doch das
    war ihm nicht aufgegangen, als er dort lebte. Es war die
    Welt, mit einer unergründlichen Vergangenheit und mit
    Grenzen, die seinen Horizont überstiegen. Es gab Schlan-
    gen im Gras und in den Steinhaufen, die von der Sonne er-
    wärmt wurden. Sex und Religion hatten einen deutlichen,
    uralten Geruch; Familien klebten wie unsichere Nester auf
    den verworrenen Zweigen vorausgegangener Geschichte,
    und der Tod konnte mitten in der Nacht zuschlagen. In
    der Zeit, als der junge Danny Hoffman Selbstmord beging
    und als Owen noch ein Kind war und unter einem Bücher-
    bord schlief, auf dem seine zwei Dutzend Big Little Books
    neben einem einäugigen Teddybären namens Bruno und
    einer Mickey Mouse aus Gummi mit nackter schwarzer
    Brust und gelben Schuhen standen, brannte am Orts-
    rand von Willow ein großer Pferdestall nieder – er gehör-
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    te zur Blake Farm, dem Besitz abwesender reicher Leute
    aus Delaware –, und sein Vater, der wie ein Junge hinter
    Unglücksgeschichten her war, berichtete, wie die Pferde,
    nach draußen in Sicherheit gebracht, in ihrer Panik wie-
    der hineinrannten und wie schrecklich der Gestank von
    ihrem brennenden Fleisch und Haar gewesen war. In je-
    ner Nacht konnte man von Owens Fenster den orangefar-
    benen Schein am Himmel sehen und davor die Umrisse
    des Daches und der Schornsteine des Hauses neben dem
    unbebauten Grundstück und die Silhouetten der höchsten
    Fichten und Hemlocktannen in den Gärten dahinter. Im-
    mer wieder ertönten die Feuersirenen der Stadt, ein gewal-
    tiger, wütender Schrei, auf den keine Antwort kam. Wie an
    dem Morgen, als der Pistolenschuss knallte, hatte Owen
    sich auf die Seite gerollt und war wieder eingeschlafen und
    hatte so die
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