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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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Sturzbache vom Schmerz in der Welt über sich
    hinwegbranden lassen.

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    II Kleinstadt‐Sex 1

    Sich selbst zu töten war der Bibel nach die schlimmste
    Sünde überhaupt, erklärten Owens Lehrer in der Sonn-
    tagsschule; besonders streng in diesem Punkt wie auch in
    anderen war der blassgesichtige Mr. Dickinson mit dem ei-
    sengrauen Haar, der Manager der Bank. Sich selbst zu töten
    war schlimmer, als einen anderen Menschen in einem Akt
    der Selbstverteidigung umzubringen, was ja die Jungen der
    Familie Yost in Übersee taten. Es war, als hätte sich auf der
    stillen Mifflin Avenue, wo am frühen Morgen immer noch
    die Pferde des Milchwagens mit ihren trägen Hufen den
    Asphalt zum Klingen brachten, neben Owens Zimmer ein
    Krater geöffnet, ein Krater schrecklicher Möglichkeiten,
    ein Verleugnen von allem, der Bäume und der Vögel und
    des blauen Himmels und der gesegneten Ruhe der Natur.
    Buddy Rourkes Vater war in diesen Krater gefallen, obwohl
    er es nicht beabsichtigt hatte, oder vielleicht – es war un-
    klar, und Buddy wollte nicht darüber sprechen – war der
    Vater auch noch am Leben, lebte aber anderswo, mit einer
    anderen Familie zusammen. Er war, so hieß das, «auf Ab-
    wege geraten».
    Es gab noch eine andere Sünde, auch die machte einen
    schwindeln. An die hintere Wand des Schuppens, wo die
    Geräte für den Spielplatz von Willow untergestellt wurden,
    waren mit roter Kinder-Malkreide zwei Penisse (so hieß das
    richtige Wort dafür) hingekritzelt, deren Spitzen sich be-
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    rührten. Gleich daneben hatte eine ältere, kenntnisreichere
    Hand mit Bleistift Linien tief in das gelb gestrichene Holz
    geritzt, die dem Anschein nach einen fetten Buchstaben
    M bildeten, doch bei näherem Hinsehen eine nackte Frau
    ergaben, die Beine angezogen und gespreizt, sodass dazwi-
    schen ein Spalt von der Form eines Kürbiskerns sichtbar
    wurde, mit geringelten Haaren drum herum und darüber,
    und darunter einem Punkt, den Owen selbst in der Stille
    seines Kopfes nicht benennen konnte, so schändlich war er.
    In Abrundung seiner Idee hatte der Künstler zwischen den
    Schenkeln zwei Brüste gemalt, mit geschwärzten, steifen
    Brustwarzen, und da zwischen wiederum etwas, das Owen
    als die Unterseite einer Nase mit ihren zwei Nasenlöchern
    identifizierte. Die Frau öffnete sich, um sich (wie die älteren
    Jungen sagten) ficken zu lassen: Das war klar. Warum sollte
    sie das tun? Das war nicht klar. Doch es war offensichtlich,
    dass eine Frau irgendwo erlaubt hatte, so betrachtet und ge-
    zeichnet zu werden, dass das Bild hier reproduziert werden
    konnte. Sie hatte weder Arme noch einen Kopf, und ihre
    Beine endeten ohne Füße: Der Künstler erachtete dies al-
    les als unwesentlich. Die wesentlichen Teile der Frau waren
    dargestellt, und irgendetwas regte sich in Owens Unterleib
    in Anerkennung dieser Wahrheit: Was am wichtigsten war,
    wurde gezeigt. Der Spalt, die Haare, der kleine Punkt und
    Brustwarzen, die wie stämmige Flug
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    zeugabw
    a
    hrk nonen
    aufrecht in die Luft ragten.
    Doch die Mädchen um ihn herum schienen mit diesen
    wichtigen Dingen nichts zu tun zu haben. Sie hatten brau-
    ne Beine, weil sie den Sommer über auf dem Spielplatz
    waren und genauso schnell laufen konnten wie er. Sie woll-
    ten bei allen Spielen gewinnen – Dachball und Hockey
    und Chinesisches Damespiel. Ginger Bitting, die in seine

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    Klasse ging und in der Second Street wohnte, baumelte oft
    kopfüber mit an den Knien abgeknickten Beinen am Klet-
    tergerüst, während ihre dünnen, sommersprossigen und
    mit weißlichem Flaum bedeckten Arme bis zum staubigen
    Grund reichten und ihr langes Haar, rot wie Tonerde und
    fein wie der Staub, zwischen ihren Armen herabhing. Falls
    ihre Beine nachgaben, würde sie fallen und konnte sich das
    Genick brechen, so wie der Junge im Sommerlager, als der
    arme Danny Hoffman Aufsicht geführt hatte. Aber Ginger
    passierte so etwas nicht. Ginger mit ihren Sommerspros-
    sen und den Augen wie grünes Glas, durch das ein Licht
    schien, war das waghalsigste, das drahtigste Mädchen in
    seiner Klasse auf der Grundschule, die Schnellste beim
    Rennen, die Beste im Singen und die Mannschaftsführerin
    der Mädchen, wenn sie in der Pause gegen die Jungen Fuß-
    ball spielten. Schnappte sie ihm auf dem Nachhauseweg
    seine Mütze oder seine karierte Büchertasche weg, konnte
    er sie erst einholen, wenn sie ihn ließ. Auf der Schaukel auf
    dem Spielplatz schwang sie sich hoch hinauf, die
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