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Land aus Glas

Land aus Glas

Titel: Land aus Glas
Autoren: Alessandro Baricco
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es auch.
    Mr. und Mrs. Rail.
    Genossen ihr Leben.
    Dann, eines Tages, kam Elisabeth.

2
     
    »Und der Herr segnete Hiob fortan mehr als einst, so daß er vierzehn tausend Schafe kriegte und sechstausend Kamele und tausend Joch Rinder und tausend Eselinnen. Und er bekam sieben Söhne und drei Töchter und nannte die erste Jemima, das heißt Täubchen, die zweite Kezia, das heißt Zimmetblüte, und die dritte Keren-Happuch, das heißt Salbhörnchen …«
    Nicht daß Pekisch je begriffen hätte, was für ein komischer Name das war. Aber eines war klar: Es war nicht der Moment, sich das ausgerechnet jetzt zu fragen. Daher las er mit eintöniger, fast unpersönlicher Stimme weiter, als spräche er mit einem Tauben.
    »Und es gab keine so schönen Frauen im ganzen Lande wie die Töchter Hiobs. Und ihr Vater gab ihnen Erbteil unter ihren Brüdern. Und Hiob lebte danach hundertvierzig Jahre und sah Kinder und Kindeskinder bis in das vierte Glied.«
    Der Text näherte sich seinem Ende. Pekisch holte Luft und legte eine Spur Müdigkeit in seine Stimme.
    »Und Hiob starb alt und lebenssatt.«
    Pekisch rührte sich nicht. Ihm war nicht klar warum, doch er hatte den Eindruck, daß es besser war, sich ein paar Augenblicke nicht zu rühren. Er verharrte also reglos, obgleich das mit Sicherheit denkbar unbequem war: der Länge nach im Gras ausgestreckt, das Gesicht ans Ende eines Zinnrohrs gepreßt. Auch das Rohr lag der Länge nach auf dem Boden (»Eine unverzeihliche Naivität«, wie Professor Dallet später kommentieren sollte), es war 565,8 Meter lang und hatte den Durchmesser eines Milchkaffeepotts. Pekisch hatte sein Gesicht so hineingepreßt, daß nur die Augen draußen blieben, eine ideale Lösung, um das Büchlein lesen zu können, das er, auf Seite 565 aufgeschlagen, mit einer Hand auf dem Rohr balancierte. Mit der anderen Hand hielt er, so gut es ging, die Löcher zu, die sein nicht eben kugliges Gesicht an der Rohröffnung freiließ, »ein kindischer Notbehelf«, wie der schon erwähnte Professor Dallet später nicht zu Unrecht anmerkte.
    Ein paar Augenblicke verstrichen, dann endlich bewegte sich Pekisch. Er hatte den Abdruck vom Rand des Rohres auf dem Gesicht und ein halbeingeschlafenes Bein. Er stand mühsam auf, steckte das Büchlein in die Tasche, strich sich die grauen Haare zurecht, murmelte etwas vor sich hin und begann am Rohr entlangzulaufen. Fünfhundertfünfundsechzig Komma acht Meter sind keine Strecke, die man im Handumdrehen bewältigt. Pekisch begann zu tippeln. Er lief und versuchte, nichts zu denken, seine Blicke folgten dem Rohr, teils seinen Schuhen, teils dem Rohr, das Gras unter seinen Füßen glitt schnell dahin, das Rohr, das wie ein endlos langes Geschoß aussah, zog vorbei, doch wenn er aufschaute, grinste reglos der Horizont, alles ist relativ, das war schon bekannt, besser, ich schaue zu Boden, besser, ich schaue auf das Rohr, auf die Schuhe und auf das Rohr – sein Herz schlug jetzt zum Zerspringen. Ruhe. Pekisch steht still. Er sieht zurück: hundert Meter Rohr. Er sieht nach vorn: eine Unendlichkeit von Rohr.
    Ruhe. Er fängt wieder an zu laufen und nichts zu denken. Ringsumher das Abendlicht. Die Sonne erwischt einen von der Seite, wenn es so ist; es ist eine freundlichere Art, die Schatten strecken sich ins Maßlose, es ist eine Art, die etwas Liebevolles hat – das erklärt vielleicht, wie es kommt, daß es abends leichter ist, sich gut zu finden – während man dagegen mittags auch jemanden töten könnte oder noch schlimmer: daran denken könnte, jemanden zu töten, oder noch schlimmer: feststellen könnte, daß man auch fähig wäre, daran zu denken, jemanden zu töten. Oder noch schlimmer: sich töten zu lassen. Einfach so. Noch zweihundert Meter bis zum Rohrende. Pekisch läuft und schaut teils auf das Rohr, teils vor sich hin. Am Ende des Rohrs, geradewegs vor sich, erkennt er allmählich die kleine Gestalt von Pehnt. Er hätte sie wohl nicht gesehen, wenn er weiter so gelaufen wäre und nichts gedacht hätte, doch jetzt hat er sie gesehen, und so beginnt er wieder auf seine verdrehte Art zu tippeln. Es sieht aus, als entschlösse er sich bei jedem Schritt, ein Bein wegzuwerfen, doch das will hartnäckig nichts davon wissen, und jedesmal findet er es hinter sich wieder und muß es irgendwie wieder aufsammeln, während er inzwischen versucht, sich des anderen zu entledigen, ohne daß ihm dies allerdings gelingt, denn auch das will nichts davon wissen, daß es loslassen soll,
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