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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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dreinblickenden Mannes. »Es heißt nicht: Den Mörder, gebt ihn heraus. Es heißt: Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.«
    Die Umstehenden blickten zu Boden und versuchten mühsam, den Regisseur ihr Grinsen nicht sehen zu lassen. Vergebens.
    »Da gibt es nichts zu lachen, meine Herren. In zwei Wochen ist Premiere, und auch Sie könnten durchaus mehr Textsicherheit vertragen.«
    »Was war denn jetzt schon wieder?« Der Bärtige, der eben noch im Kahn gesessen hatte, kam mit seinem Begleiter im blutverschmierten Hemd aus einer engen Gasse zwischen zwei Pappmaché-Felsen.
    »Ihre Kollegen bringen es einfach nicht fertig, ihren Text zu lernen, Herr Edgar.«
    Kluftinger seufzte und kraulte seinen extra fürs Freilichtspiel kultivierten Vollbart. Zu Beginn der Probenzeit hatte der Kommissar der Kemptener Kriminalpolizei die Eigenart des neuen Regisseurs, die Mitspieler immer mit »Herr« oder »Frau« und ihren Vornamen anzusprechen, noch amüsant gefunden. Inzwischen nervte es ihn nur noch. Lediglich ihn sprach er mit Nachnamen an, weil Kluftinger seinen Vornamen nicht hatte preisgeben wollen und den Mitspielern unter Androhung körperlicher Gewalt verboten hatte, ihn zu verraten.
    Er betrachtete den Mann mit den schlackernden Hosenbeinen. Heinrich Frank war eine große Nummer in der deutschen Theaterwelt gewesen, wie man sich erzählte. So genau wusste das von den vorgeblich so theaterinteressierten Altusriedern aber keiner, denn alle sprachen immer im Konjunktiv von der Vergangenheit des hageren Mannes mit der kleinen Brille und dem temperamentvollen Wesen: Er sei mal irgendwo Intendant gewesen, habe mal mit ganz prominenten Schauspielern zusammengearbeitet, sei einer der Einflussreichsten seiner Branche gewesen. Doch seit einigen Jahren war Heinrich Frank Rentner oder Privatier – auch das wusste so genau keiner – und hatte sich in Altusried niedergelassen. Ausgerechnet in jener Allgäuer Gemeinde, in der alle paar Jahre ein großes Freilichtspiel inszeniert wurde. So wie heuer. Wilhelm Tell stand auf dem Programm, und es schien nur logisch, den erfahrenen Theatermann mit der Regie zu betrauen. Das fand auch Kluftinger, obwohl er und die meisten anderen Mitspieler sich da im Moment nicht mehr so sicher waren. Der Regisseur aber schien mehr von sich überzeugt denn je. Frank war hart, verlangte viel und geriet schnell aus der Fassung. Für Kluftingers Geschmack deutlich zu schnell.
    »Jetzt seien Sie mal nicht so streng mit uns«, sagte der Bärtige und drohte scherzhaft mit der mächtigen Armbrust, die er mit sich herumtrug. »Schließlich haben wir alle einen anstrengenden Tag hinter uns. Wir arbeiten ja alle, gell?«
    Die anderen nickten.
    »Ja … nun gut … Sie haben vielleicht Recht. Unterm Strich bleiben Sie Laien. Aber es ist wichtig, dass Sie sich ein bisschen konzentrieren. Wie gesagt, die Premiere ist schneller da, als Sie denken. Ich hab Sie ja nicht umsonst im Kostüm kommen lassen, heute. Ich dachte, das hilft Ihnen vielleicht, Sie haben wirklich noch einige Probleme bei der Identifikation mit den Charakteren.« Er blickte die Gruppe an und schien durch ihr betroffenes Nicken zufriedengestellt.
    Sie sahen ihm nach, wie er auf seinen Platz in der mächtigen hölzernen Tribünenkonstruktion mit dem geschwungenen Dach zuschritt. Zweitausendfünfhundert Besucher würden hier schon in nicht einmal zwei Wochen dreimal pro Wochenende sitzen.
    Bei dem Gedanken wurde Kluftinger bereits jetzt ganz flau im Magen. Er war kein großer Theaterenthusiast, aber bei den Freilichtspielen hatte er von Kindesbeinen an mitgewirkt. Und die Alternative zu der winzigen Sprechrolle wäre die Blaskapelle gewesen, die für die musikalische Umrahmung der Vorstellungen sorgte und bei der er eigentlich für die große Trommel zuständig war.
    Der Gedanke, den ganzen Sommer im »Musikbunker« zu verbringen und auf sein verhasstes Instrument einzuschlagen, das er nur spielte, weil man noch immer keinen anderen im Dorf dafür hatte begeistern können, war aber derart abschreckend gewesen, dass er im Vorfeld mit dem Bürgermeister einen Deal ausgehandelt hatte: Er würde mit seinen guten Beziehungen zur Polizei dafür sorgen, dass an den Spielwochenenden die Alkohol-Kontrollen im Ort nicht ganz so streng durchgeführt würden. Schließlich wolle man die vielen Gäste, die in das beschauliche Dorf am Ausläufer der Alpen kamen, nicht gleich wieder verprellen. Im Gegenzug würde der Bürgermeister dafür sorgen, dass
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