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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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hatte Maier noch nie so aufgeregt erlebt, es musste etwas Furchtbares passiert sein. Aber was? Ein toter Österreicher kam hier, nur wenige Kilometer von der Grenze zum Nachbarland, durchaus einmal vor. Und wenn er es den Kollegen von der Musikkapelle erzählen würde, würden manche wahrscheinlich sogar etwas Gehässiges wie »Immerhin. Einer weniger!« von sich geben.
    Der Kommissar zermarterte sich das Hirn, ging im Geiste die Zeitungen der letzten Tage durch. Hatte es irgendeinen Kriminalfall mit Verbindungen zu Österreich gegeben? Kluftinger erinnerte sich an nichts und gab, als seine Fantasien einen immer abstruseren Verlauf nahmen, schließlich auf. Es waren ohnehin nur noch ein paar Minuten bis zu der Adresse, die Maier angegeben hatte.
    Als er in den Schwalbenweg einbog, wunderte er sich. Er hatte aufgrund des dramatisch wirkenden Anrufs ein großes Aufgebot erwartet, doch es standen nur drei Wagen der Kemptener Polizei am Straßenrand: Maiers Dienstauto, der Kombi des Erkennungsdienstes und ein Streifenwagen. Kluftinger parkte seinen Passat hinter dem grünsilbrigen Kombi und stieg aus. Verwirrt blickte er sich um, denn er konnte keinen seiner Kollegen entdecken.
    Erst nach einer Weile sah er einen Uniformierten, der am Eingang eines der wenig einladenden Hochhäuser stand, die Anfang der Siebzigerjahre hier am Rand der Allgäu-Metropole im Rahmen des »sozialen« Wohnungsbaus entstanden waren. Der Stadtplanung war es damals sicher ganz recht gewesen, die Probleme hierher auszulagern, dachte der Kommissar. Seither war die Hochhaussiedlung zu einem sozialen Brennpunkt allererster Güte geworden, der ihn und seine Kollegen immer wieder beschäftigte.
    Kluftinger winkte dem Uniformierten schon von Weitem zu. Der jedoch behielt seinen mürrischen, skeptischen Blick bei und musterte den Kommissar mit zusammengekniffenen Augen. Erst als er nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, hellte sich seine Miene auf.
    Kluftinger nickte ihm zu: »Was gibt’s?«
    Die Augen des Polizisten glitten an Kluftinger herab, dann wieder nach oben, dann öffnete er den Mund, holte Luft, schien es sich jedoch gleich darauf anders zu überlegen, machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte erneut an: »Servus Klufti, hab dich gar nicht erkannt mit deinem Bart«, sagte er schließlich und machte dabei ein Gesicht, als sei es ihm unangenehm, dass ausgerechnet er dem Kommissar einen kurzen Abriss der Lage geben musste.
    »Du … ich … du solltest da vielleicht nicht hineingehen«, brachte er schließlich hervor.
    War sein Kollege noch ganz bei Trost? Er war leitender Kriminalhauptkommissar und nun wurde er von einem »Grünen« behandelt wie ein Schuljunge. Gut, seine unrühmliche Leichenunverträglichkeit hatte sich über die Jahre nicht verheimlichen lassen, aber er hatte sich meist so gut unter Kontrolle, dass er den Arbeitsablauf am Tatort nicht störte. Und nun das. Kluftinger stieg die Zornesröte ins Gesicht – verbunden mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Hier würde seine Selbstbeherrschung mal wieder auf eine harte Probe gestellt werden.
    In diesem Moment riss sein Kollege Richard Maier die Eingangstür auf und stolperte ins Freie. Maier blieb abrupt stehen, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein, als sei er gerade stundenlang in einer Bahnhofstoilette eingesperrt gewesen. Er war dünn, aber heute wirkten seine Wangen noch hohler als sonst, und seine vornehme Blässe war einer ungesunden Bleichheit gewichen. Erst nach ein paar Sekunden bemerkte er die Anwesenheit seines Vorgesetzten. Er musterte ihn von oben bis unten, öffnete den Mund, kratzte sich am Kopf, setzte dann erneut an und sagte schließlich: »Gut, dass du endlich da bist. Also, das ist schon eine ganz harte Nummer. Wirklich, ich …«
    »Was ist denn passiert?«, fragte Kluftinger ungeduldig.
    »Also …« Maier schien zu überlegen, wo er anfangen sollte, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich glaube, es ist trotz allem am besten, wenn du dir selbst ein Bild von der Sache machst.«
    Beim Hineingehen entging Kluftinger nicht der mitleidige Blick, den die zwei anderen Beamten austauschten.
    Im Aufzug sprachen sie kein Wort, denn Kluftinger hatte bereits begonnen, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Ohne zu wissen, was ihn erwartete, versuchte er, seine Emotionen so weit wie möglich unter Kontrolle zu bekommen und seinem Verstand den Oberbefehl für die nächsten Minuten zu übergeben. Dann glitt die Aufzugtür zur Seite.
    Der Blick,
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