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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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der sich dem Kommissar bot, beruhigte ihn etwas. Das Treppenhaus, trist und austauschbar, wie es die Treppenhäuser in Hochhäusern der Siebzigerjahre eben waren, dunkelgrün gestrichen und mit braunem, schäbigem Teppichboden, war von einer Betriebsamkeit erfüllt, die er von ungezählten Tatorten kannte: Ein Polizeiabsperrband war quer über den Treppenabsatz gespannt, eine der Türen war offen, davor stand mit auf dem Rücken verschränkten Armen ein uniformierter Beamter.
    In der Wohnung erkannte Kluftinger weitere Kollegen, darunter auch Willi Renn vom Erkennungsdienst, der in einem weißen Ganzkörperanzug und mit Fotoapparat in der Hand an der offen stehenden Tür vorbeilief. Renn verschwand nur wenige Sekunden aus seinem Blickfeld, dann tauchte er wieder auf. Er lief wie in Zeitlupe rückwärts und starrte den Kommissar ungläubig an. Dann riss er den Fotoapparat hoch, drückte auf den Auslöser, und ein heller Lichtblitz nahm Kluftinger für einige Sekunden die Sicht.
    Als der Kommissar wieder klar sehen konnte, war Renn verschwunden. Er überlegte, ob er ihm nachrufen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Dann holte er tief Luft und betrat die Wohnung.
    Er sah gleich, dass sich die Aufmerksamkeit der Beamten auf das Zimmer rechts am Ende des kleinen Korridors konzentrierte. Maier schob sich an ihm vorbei und ging voraus. Was Kluftinger sofort auffiel, war, dass die Wohnung ungewöhnlich kahl aussah. Es hingen keine Bilder an der Wand, keine Garderobe war zu sehen. Es wirkte nicht so, als ob hier tatsächlich jemand gewohnt hätte.
    »Es war wohl nur eine Art Unterschlupf«, sagte Maier, der Kluftingers Blick richtig gedeutet hatte.
    Der Kommissar nickte.
    Vor der Tür zu dem Raum, in dem Kluftinger die Leiche vermutete, stand ein weiterer Kollege der Spurensicherung im weißen Plastikanzug. Daneben saß auf einem Stuhl, seinen Kopf an die Wand gelehnt, ein ungefähr vierzigjähriger Mann, den Kluftinger noch nie gesehen hatte. Er trug eine abgewetzte schwarze Lederjacke, kurzes Haar kräuselte sich auf seinem Kopf. Er kaute auf einem Zahnstocher herum. Ein Drei-Tage-Bart unterstrich den schlampigen Eindruck. Die Beine übereinandergeschlagen, wippte er unbeteiligt mit dem Stuhl. Als er die Neuankömmlinge bemerkte, grinste er breit übers ganze Gesicht und sagte mit unverkennbar österreichischem Akzent: »Na, jetzt kann eh nix mehr passiern. Jetzt kommen die Helden in Strumpfhosn.«
    Kluftingers Kiefer klappte nach unten. Er war verwirrt, hatte er doch gedacht, er würde auf einen toten Österreicher treffen. Stattdessen musste er sich nun unverschämte Sprüche von einem offenbar quicklebendigen Exemplar anhören. Bevor er etwas erwidern konnte, stand der Mann mit dem pockennarbigen Gesicht auf, streckte ihm die Hand hin und sagte: »Bydlinski, Valentin Bydlinski mein Name. Und was sind Sie? Der Kammerjäger? Oder das deutsche Fernsehballett?«
    Kluftinger blieb der Mund offen stehen. Er blickte an sich herab: Gut, er sah nicht gerade wie ein Vorzeige-Kriminalbeamter aus. Seine Beine steckten in einer Art grünen Strumpfhose, um die Unterschenkel schlangen sich lederne Bänder. Außerdem trug er ein grobes Leinenhemd und über seinen Bauch spannte sich ein breiter Gürtel mit riesiger Schnalle. Dass er sein Kostüm nicht ausgezogen hatte, bereute er jetzt, aber er hatte ja nicht wissen können, dass sich noch irgendwelche Fremde am Tatort herumtreiben würden. Seine Kemptener Kollegen wussten, dass er zurzeit in den Proben fürs Freilichtspiel steckte. Im Büro hing für solche Eventualitäten immer ein Anzug zum Wechseln bereit. Und nun grinste ihn hier dieser schlecht rasierte Kerl an und riss Späße über seinen Aufzug.
    »Und Sie? Ich dachte, Sie seien tot«, gab der Kommissar schroff zurück.
    Das Grinsen des anderen erstarb. Verwirrt wandte sich Maier dem Kommissar zu. »Wieso sollte er denn …«
    »Na, du hast doch was von einem toten Österreicher erzählt«, unterbrach ihn Kluftinger. »Gibt’s noch einen Zweiten?«
    »Jo, aber der lebt ah no.« Eine kratzige Stimme in Kluftingers Rücken ließ den Kommissar zusammenzucken. »Haas, habe die Ehre.«
    Der Kommissar blickte in ein sonnengebräuntes Gesicht. Bevor er irgendetwas erwidern konnte, fügte der Mann an: »Landesgendarmerie … ich meine Polizeikommando Innsbruck. Wie mein Kollege Bydlinski, bitte.«
    Jetzt war Kluftinger vollends verwirrt. Was machten Kollegen aus Österreich hier? Von einem Rechtshilfeersuchen war ihm nichts
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