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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle
Autoren: Das fremde Kind
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habe. Wie auch immer, jedenfalls ist
sie weggelaufen, woraufhin ich mich natürlich gezwungen sah, die Jungs damit zu
beauftragen, sie wieder einzufangen.»
    Es scheint, als wäre der Sauerstoff
im Raum knapp geworden. Konrad bekommt keine Luft mehr. Arvid Linders Stimme, seine
Arroganz und sein Blick sind unbezwinglich. Es ist, als gelänge es ihm in irgendeiner
hypnotisierenden Art und Weise, alle Anwesenden im Raum davon zu überzeugen, dass
er derjenige ist, der die Schrotflinte in der Fland hält.
    Konrad will am liebsten seinen Blick
abwenden, aber es gelingt ihm nicht. Er starrt geradewegs in das Gesicht des Professors,
doch alles, was er sieht, ist Agnes, die mit einem blutverschmierten Messer durch
den Wald rennt. Um sie herum ist es dunkel, und die Zweige peitschen ihr ins Gesicht.
Sie ist voller Panik, körperlich entkräftet und seelisch zerstört, und sie hofft,
dass der Mann, der sie so viele Male vergewaltigt hat, an seinem Messerstich verbluten
wird. Vielleicht, ganz vielleicht denkt sie auch, dass sie sich beeilen muss, nach
Hause zu ihrem kleinen Jungen zu kommen, der einsam und allein in seinem Bett liegt.
    «Sie Widerling! Es ist meine Mutter,
von der Sie da sprechen», sagt Konrad tonlos.
    Linder hebt ungerührt die Augenbrauen.
    «Nach einer Weile kamen die Jungs mit
ihr zurück. Da gab es für mich natürlich nur eins zu tun. Ich habe meine Luger hervorgeholt
und ihr in den Kopf geschossen.»
    Plötzlich fällt Konrad auf, dass Arvid
Linder in seinen Ausführungen geradezu schwelgt. Eine andere Erklärung gibt es
nicht. Er selbst fühlt sich völlig ausgelaugt und nicht in der Lage, etwas anderes
zu tun, als den weißhaarigen Mann anzustarren, der dort mit blutendem Gesicht und
wirrem Haar, aber dennoch so fürchteinflößend, so bedrohlich und mit einer derartig
paralysierenden Ausstrahlung in seinem Lesesessel sitzt.
    Es gibt keine andere Erklärung als
die, dass Arvid Linder seine eigene Macht, andere zu erniedrigen, genießt.
    «Im Übrigen hatte ich schon zuvor beschlossen,
mich ihrer zu entledigen», fährt er nahezu gleichgültig fort. «Das ist möglicherweise
ein Umstand, von dem du nichts weißt, Klas. Die kleine Schlampe hat nämlich behauptet,
sie sei schwanger. Dass ich sie geschwängert hätte. Eine lächerliche Behauptung.
Aber das konnte ich nicht durchgehen lassen. An diesem Abend, bevor du mit deinen
Kameraden herkamst, wollte sie mich um Geld erpressen. Deswegen musste ich etwas
unsanft mit ihr umgehen.»
    Ganz ruhig, als sei er überzeugt davon,
die Kontrolle über die Situation zu erlangen, nimmt er einen Kamm aus seiner Brusttasche
und fährt sich mit einer routinierten Bewegung durchs Haar.
    Als er gerade seinen Scheitel neu richten
will, sorgt eine Bewegung von Klas dafür, dass sich sein Gesichtsausdruck abrupt
ändert. Innerhalb von einer Sekunde zerbricht seine Maske. Der Kamm fällt zu Boden.
Das beherrschte, süffisante Lächeln ist wie weggeblasen. Stattdessen spiegelt sich
Todesangst in den Augen eines sehr alten Mannes, der von einem Augenblick auf den
anderen einsieht, dass alles verloren ist.
    «Signe», jammert Klas gequält. «Sie
hat alles auf sich genommen. Warum zum Teufel musstest du sie töten?»
    «Es tut mir wirklich leid.» Arvid Linders
Stimme ist so heiser und schwach, dass man seine letzten Worte kaum verstehen kann.
«Aber ich hatte ja keine andere Wahl. Lieber Klas, ich schwöre ...»
    In einem vergeblichen Versuch, sich
zu schützen, hebt er den Arm, doch Klas' Finger umschließt bereits den Abzug, und
dann detonieren zwei ohrenbetäubende Explosionen direkt nacheinander.
    Wie verhext starren Gertrud und Konrad
auf den zerfetzten Körper im Sessel. Ihre Ohren sind betäubt von den Schüssen.
Kein Laut ist zu hören. Kein Geruch zu vernehmen. Lediglich eine unförmige blutige
Masse ist zu sehen. Kann sie jemals eine menschliche Seele beherbergt haben?
    Es vergeht eine Ewigkeit.
    «Herman und Signe wussten es all die
Jahre», sagt Klas schließlich tonlos. «Sie wussten, was ich getan habe.»
    Er leert die Patronenhülsen auf den
Boden aus und steckt zwei neue in die Flinte.
    «Ich hab es ihnen erzählt, als ich
noch ein Junge war. Sie haben mir verziehen, denn sie waren ja so herzensgut. Und
die Sünde haben sie selber auf sich genommen.»
    Konrad reißt seinen Blick von dem Toten
los und wendet sich Klas zu. Er ist nicht mal in der Lage nachzufragen.
    «Vor ein paar Wochen ist Signe zu mir
gekommen. Sie hatte ziemliche Angst. Sie war nämlich
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