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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle
Autoren: Das fremde Kind
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Eine stämmige Eiche ist umgestürzt, entweder aufgrund ihres Alters oder
des eigenen Gewichts. Ihre Wurzeln stehen ab wie Zähne im Rachen eines gewaltigen
Monsters. Das Loch in der Erde, in der sie wuchs, ist schwarz und tief. Der mächtige
Stamm behindert die Sicht, doch Konrad weiß, dass das, was er sucht, unmittelbar
hinter der entwurzelten Eiche zu finden sein muss.
    Die vier Steine liegen pyramidenförmig
angeordnet, als hätte ein Riese sie für ein Wurfspiel aufgeschichtet. Bedeckt mit
Flechten und dunkelgrünem Moos.
    Konrad hält inne, schwer atmend. Mit
einem Mal kommt es ihm vor, als wisse er nicht so recht, was er tun soll. Liegt
Agnes wirklich dort unter den Steinen begraben? Es ist schwer, den Gedanken zu Ende
zu denken: Wie viel ist nach vierzig Jahren in der Erde noch von einem Menschen
übrig?
    Er wirft Gertrud einen unschlüssigen
Blick zu. Sie wirkt unruhig, blickt ständig über die Schulter nach hinten. Vorsichtig
geht er näher heran und streicht mit der Hand über das Moos auf den Steinen. Die
Trockenheit hat es rau und hart werden lassen.
    In dem Moment klingelt das Handy in
Konrads Hosentasche. Es ist, als würde ein Zauber erlöschen. Er kramt es hervor
und meldet sich.
    «Ja?»
    «Hallo, hier ist Sven. Ich habe etwas
entdeckt...»
    Konrad fällt nichts ein, außer «Ah
ja?» zu entgegnen.
    «Nachdem wir uns letztens getroffen
haben, hab ich mich noch einige Zeit damit beschäftigt, mein Nazimaterial durchzugehen.
Du hast ja gefragt, ob darin noch andere Namen aus Tomelilla genannt werden, oder?»
    «Ja?»
    «Gerade eben habe ich einen gefunden.
Ich weiß nicht recht, ob er etwas zu bedeuten hat, denn der Mann gehörte nicht unbedingt
zu den zentralen Figuren. Er scheint zum Beispiel nicht wie Kurt Nilsson bei Nordland
oder in ähnlichen Verbänden gewesen zu sein. Aber sein Name taucht in diversen
Listen von Zusammenkünften auf. In Tomelilla, Sjöbo und auch einmal in Malmö. Sie
stammen hauptsächlich aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren.»
    «Und wie heißt er?»
    «Arvid Linder. Dieser Juraprofessor.
Hast du ihn nicht bei Birger Berelius getroffen?»
    «Oh, verdammt...»
    Für einen Augenblick sieht Konrad den
weißhaarigen alten Mann vor sich. Er, der so gebildet und freundlich wirkte.
    «Na ja, ich wollte es dir nur mitteilen.
Wir können uns ja später noch weiter darüber unterhalten. Bis dann.»
    Noch bevor Konrad etwas erwidern kann,
hat Sven aufgelegt.
     
    D as Grollen
vom Himmel ist inzwischen lauter und bedrohlicher geworden. Instinktiv schauen
sie beide an der Felswand hinauf, als befürchteten sie, dass der Wettergott persönlich
einen Steinschlag in Gang setzen könnte, der jeden Moment auf sie niederprasselt.
    Gertrud sieht ängstlich aus. Ihr Blick
fordert eine Erklärung.
    «Es war Sven. Er hat entdeckt, dass
Arvid Linder in seinem Naziarchiv verzeichnet ist. Der Professor, du weißt schon.»
    «Ich finde, wir sollten die Polizei
rufen. Ich habe so ein mulmiges Gefühl.»
    Es ist dunkel, als wäre es mitten in
der Nacht. Gertrud hat die Arme um ihren Oberkörper geschlungen. Die Luft ist immer
noch stickig und drückend, aber es sieht aus, als friere sie. Um sie herum riecht
es nach Schwefel.
    Konrad spürt, wie der Zweifel an ihm
zu nagen beginnt. Was macht er eigentlich hier? Alles erscheint ihm so unwirklich.
Als stünde jemand anderes statt seiner dort, unschlüssig, an einem Grab mitten
im Wald. Sein Blick richtet sich wieder auf die Steinpyramide. Zuunterst liegen
vier schwere Feldsteine. Wird er es schaffen, sie vom Fleck zu bewegen? Und dann?
Soll er mit seinen nackten Händen in der Erde graben?
    «Komm, Konrad. Wir fahren wieder.»
    Gertrud zieht ihn vorsichtig am Arm.
Doch es ist, als würden die Steine ihn magnetisch anziehen. Ihn mittels einer geheimnisvollen
Kraft hypnotisieren. Er kann seinen Blick nicht von ihnen losreißen. Dort in der
schwarzen Erde zwischen verschlungenen Wurzeln, Würmern und Maulwurfsgängen, liegt
sie wirklich dort?
    Darunter liegt sie
begraben. Deine Mutter.
    Der Brief brennt förmlich in seiner
Hosentasche. Es muss stimmen. Warum sollte er es sonst schreiben?
    «Ich kann sie nicht einfach alleinlassen
...»
    Konrad hört, wie erbärmlich seine eigene
Stimme klingt, und ein Teil von ihm sieht die Absurdität seiner Worte ein. Er spürt
wie Gertruds Finger seine Hand ergreifen.
    «Komm!», ruft sie flehend.
    In dem Moment, in dem er sich endlich
aufraffen kann, in dem er einsieht, dass sie recht hat, ertönt ein gewaltiger
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