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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike
Autoren: Ingrid Noll
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Yolas Auto nehmen, sind wir schneller unten und können am Ufer spazierengehen.«
    Sie klimpert mit einem Schlüsselbund und schließt den Mercedes ihrer Tochter auf.
    »Eigentlich solltest du nicht mehr fahren«, warne ich, »wir haben alle drei zuviel getankt!«
    »Ach was«, sagt sie, »den Berg hinunter saust der Schlitten von allein, der kennt diesen Weg fast im Schlaf.«
    Ein Auto ist kein Pferd, denke ich, sitze aber schon, ohne zu widersprechen, im Fond. Immerhin soll sich der Todessitz vorn befinden, und da hat sich Anneliese breitgemacht. Luiza fährt zügig und elegant, und es ist wirklich nur eine kurze Strecke.
    Unten angekommen, läßt sie den schweren Wagen skrupellos im Halteverbot stehen, preßt einen Plastiksauger mit Äskulapschild an die Windschutzscheibe und steigt aus.
     
    Eine Gruppe junger Leute zieht grölend an uns vorbei; ihr Spott ist nicht zu überhören. »Drei olle Schabracken, und voll bis obenhin«, sagt einer, die anderen drehen sich um und applaudieren uns hämisch.
    Mir ist es überaus peinlich, aber Luiza gerät sofort in Harnisch und brüllt den Studenten hinterher: »Selber besoffen, ihr Arschlöcher!«
    »Halt die Klappe, du schwarze Pest!« pöbelt es zurück.
    Luiza schreit noch »Nazischweine«, dann gehen ihr die Schimpfwörter aus, weil sie umknickt und aufjault wie ein getretener Hund.
    Wutentbrannt will Anneliese den Männern nachsetzen, und ich kann sie nur mit Mühe zurückhalten.
    »Hoffentlich hat sie sich nichts gebrochen«, flüstere ich.
    Doch schon sinkt die Brasilianerin stöhnend auf die Bordsteinkante, zieht ihren Stiefel aus, reibt sich den Knöchel und flucht laut vor sich hin: »Ay, que droga!«
    »Sprichst mit fremder Zunge?« fragt Anneliese, und ich fühle mich wie in einem Alptraum. Da mir Luiza trotz ihres Mißgeschicks eine Spur vernünftiger vorkommt, wende ich mich jetzt an sie: »Was ist eigentlich los mit uns? Hast du pfundweise Gras in die Zigaretten gestopft? Anneliese ist gar nicht mehr sie selbst!«
    Zwar kreischt Luiza wieder schrill auf, aber sie spricht wenigstens in verständlichen Sätzen.
    »Verdammt noch mal, tut das weh! – Du bist mir schon ein rechtes Unschuldslamm! Meinst du etwa, in Yolas Haus findet man auch nur ein Gramm Cannabis? Das war alles Marke Eigenbau, wofür habe ich schließlich die schöne Engelstrompete gekauft!«
    Der Schreck wirkt auf mich wie eine Ausnüchterungskur. Inzwischen ist auch Anneliese auf den Gehsteig heruntergerutscht und wiegt die kleine Luiza in den Armen wie ein Baby.
    »Kommt, Kinder«, sage ich energisch, »ihr könnt doch nicht auf den Pflastersteinen sitzen bleiben, ihr holt euch ja den Tod!«
    Bei diesen Worten wird mir erst bewußt, daß wir alle drei keine Jacken mitgenommen haben. Besonders Luiza in ihren hauchdünnen Flatterkleidern müßte eigentlich höllisch frieren. Um sie ein wenig zu schützen, lege ich ihr mein seidenes Tuch um den Hals, das perfekt mit ihren Papageienfarben harmoniert.
    »Hast du vielleicht einen Mantel im Auto?« frage ich.
    »Meine Gabardina hängt in der Garderobe«, flötet sie, nimmt aber meine dargebotene Hand und läßt sich auf die Beine helfen. Kaum ist auch Anneliese mühselig in die Senkrechte gekommen, umschlingt sie Luiza erneut und trällert:
     
    Vilja, o Vilja, du Waldvögelein!
    Faß mich und laß mich
    Dein Trautliebster sein!

»Heißt es nicht Waldmägdelein?« verbessere ich und bin ganz verwundert, daß mir Annelieses Gesang gefällt.
    Es behagt mir nur gar nicht, daß die beiden keinen Schritt weitergehen, sondern mitten auf der Fahrbahn herumtorkeln. Zurück zum Auto ist es weiter als bis zur alten Brücke, die direkt vor uns auftaucht.
    »Los jetzt«, kommandiere ich, »wir setzen Luiza auf die Balustrade und wickeln ihr einen Strumpf um den Knöchel. Ich hole dann den Wagen, und wir fahren schnurstracks nach Hause!«
    Mit sanfter Gewalt gelingt es mir, die schwankenden Gestalten Meter für Meter voranzutreiben. Im Licht einer Laterne erkenne ich auf meiner Uhr, wie spät es schon ist. Ewald und Andreas werden sich Sorgen machen. Da überkommt mich wieder ein heftiges Schwindelgefühl, ich sehe kugelförmige Lichter aus dem Neckar quellen und wie Seifenblasen in der Luft schweben.
    »Mitternacht rückt näher schon«, flüstert Anneliese, und plötzlich weiß ich, daß wir alle drei verhext sind. Wenn ich nicht sofort einen Sitzplatz finde, werde ich umfallen. Zum Glück haben wir jetzt den Mittelpfeiler der Brücke erreicht; die Brüstung
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