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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Autoren: Marina Lewycka
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Keller hinunterstürmt und den Hauptschalter
     der Stromleitung ausschaltet. Und das Gekicher meiner coolen Freundinnen!
    Er nickt. »Ja. Mag sein.«
    Kein Jazz. Kein Make-up. Keine Freunde. Kein Wunder, dass ich mich dagegen aufgelehnt habe, sobald ich in der Lage dazu war.
     »Du warst ein fürchterlicher Vater, Papa. Ein Tyrann.«
    Er räuspert sich. »Manchmal ist Tyrannei besser als Anarchie.«
    »Warum muss es denn entweder das eine oder das andere sein? Warum kann man denn nicht demokratisch miteinander verhandeln?«
     Plötzlich ist dieses Gespräch viel zu ernst geworden. »Soll ich Stanislav bitten, die Musik leiser zu stellen?«
    »Nein, nein, lass nur. Morgen fahren sie sowieso.«
    »Wirklich? Sie fahren morgen? Wohin denn?«
    »In die Ukraine zurück. Dubov baut gerade einen Dachgepäckträger.«
    Im Vorgarten heult im selben Moment ein Motor auf. Der Rolls-Royce ist wieder zum Leben erwacht. Wir treten |332| ans Fenster und schauen hinaus. Der Rolls-Royce knattert vor sich hin, und er hat jetzt tatsächlich einen klobigen selbstgebauten
     Gepäckträger auf dem Dach. Dubov steht vor der offenen Motorhaube und hantiert am Motor herum, dass er abwechselnd laut aufheult
     und leise vor sich hin schnurrt.
    »Die Feineinstellung«, erklärt Vater.
    »Aber schafft es der Rolls-Royce denn bis in die Ukraine?«
    »Selbstverständlich. Warum nicht?«
    Dubov hebt den Kopf, sieht uns am Fenster stehen und winkt. Wir winken zurück.
     
    Abends sitzen wir zu sechst beim Essen um den Tisch im Schlaf-Esszimmer. Vater, Dubov, Valentina, Stanislav, Baby Margaritka
     und ich.
    Valentina hat fünf Kochbeutel-Portionen Rindfleisch in Zwiebelsauce aufgewärmt und mit Tiefkühlerbsen und Pommes frites serviert.
     Sie trägt jetzt nicht mehr ihren Morgenmantel, sondern zu ihren hohen Pantoletten Elastikhosen mit Steg, die sich eng über
     ihren Hintern spannen (das muss ich Vera erzählen!), und dazu ein enganliegendes pastellblaues Polohemd. Sie ist bestens gelaunt
     und lächelt uns alle freundlich an, nur Vater nicht. Dem pfeffert sie sein Fleisch mit sichtlich mehr Schwung auf den Teller
     als nötig.
    Vater sitzt am Tischende, schneidet sich pingelig alles auf seinem Teller in kleinste Stückchen zurecht und unterzieht jeden
     Bissen einer eingehenden Prüfung, bevor er ihn in den Mund steckt. Die Erbsenschalen reizen ihn in der Kehle, so dass er husten
     muss. Stanislav neben ihm hat den Kopf tief über seinen Teller gebeugt und kaut schweigend. Weil er mir nach der Demütigung,
     die er vor Gericht einstecken musste, leid tut, versuche ich ihn in ein Gespräch zu verwickeln, doch er antwortet nur einsilbig
     und sieht mich |333| nicht an. Lady Di und seine Freundin scheinen in der kurzen Zeit, die ihr ehemaliges Frauchen nun wieder im Haus ist, alles
     vergessen zu haben, was wir ihnen beigebracht haben, streichen unterm Tisch um unsere Füße herum und maunzen und betteln.
     Und jeder gibt ihnen nach, allen voran Vater, der sein halbes Essen an sie verfüttert.
    Dubov sitzt am anderen Ende des Tisches, hat das Baby im Arm und füttert es mit einem Fläschchen. Valentinas Superbusen ist
     offensichtlich nur zum Anschauen da.
     
    Nach dem Essen spüle ich das Geschirr, während Valentina und Stanislav nach oben verschwinden, um weiterzupacken. Vater und
     Dubov haben sich ins vordere Zimmer zurückgezogen, und als ich in der Küche fertig bin, gehe ich zu ihnen hinein. Sie haben
     die Köpfe zusammengesteckt und grübeln über einem Blatt Papier, auf dem sie etwas Technisches skizziert haben, das aussieht
     wie ein Auto, das durch mehrere gerade Linien mit einem vertikalen Pfosten verbunden ist. Dann legen sie das Blatt beiseite,
     und Vater holt das Manuskript seines Meisterwerks hervor und setzt sich, seine mit Paketband geflickte Lesebrille auf der
     Nase, in seinen Sessel. Dubov, der ihm gegenüber auf dem Zweisitzersofa sitzt und noch immer das inzwischen tief schlafende
     Baby im Arm hält, rutscht ein wenig zur Seite, damit ich mich zu ihm setzen kann.
     
    Jede technische Erfindung, die der Menschheit zum Nutzen gereicht, muss in angemessener Art und Weise und mit Achtung eingesetzt
     werden. Dies gilt für nichts so sehr wie für den Traktor.
     
    Vater liest flüssig, auf Ukrainisch, und hält nur ab und zu um des dramatischen Effekts willen inne, wobei dann seine linke Hand wie ein Taktstock durch die Luft schwingt.
     
    |334|
Denn obwohl der Traktor ursprünglich die Menschen von der eigenhändigen
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