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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Autoren: Marina Lewycka
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willst.«
    »Ist schon in Ordnung so. Ist nur vorübergehend.«
    »Vorübergehend für wie lange?«
    »Paar Tage. Paar Wochen.« Er hustet und räuspert sich. »Bis es Zeit ist zu gehen.«
    »Wohin? Wann?«
    »Nadia, bitte, warum musst du immer so viel fragen? Ich sage doch, es ist alles in Ordnung.«
    Nachdem er aufgelegt hat, fällt mir ein, dass ich vergessen habe zu fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist und ob er
     inzwischen weiß, wer der Vater ist. Ich könnte ja einfach zurückrufen, aber ich weiß nur zu gut, dass ich hinfahren muss,
     es mit eigenen Augen sehen, dieselbe Luft atmen, wenn ich   … ja, worum geht es mir eigentlich? Ist es nur meine Neugier? Nein. Es ist mehr als Neugier, es ist |329| Heißhunger. Eine Obsession. Am darauffolgenden Samstag fahre ich in aller Frühe los, voll gespannter Erwartung.
     
    Der Lada steht vor dem Haus auf der Straße, das Schrottauto und der Rolls-Royce sind im Vorgarten geparkt und Dubov macht
     sich daneben an irgendwelchen Metallstangen zu schaffen. »Ah   – Nadia Nikolajewna!« Er schließt seine bärenstarken Arme um mich und drückt mich. »Kommen Sie, um das Baby anzuschauen? Valja!
     Valja! Komm, schau, wer da ist!«
    Valentina erscheint in der Tür, im Morgenrock und mit hochhackigen Pantoletten an den Füßen. Ich kann nicht behaupten, dass
     sie bei meinem Anblick sonderlich erfreut wirkt, aber immerhin winkt sie mich ins Haus.
    Im vorderen Zimmer steht ein weiß gestrichenes Kinderbett aus Holz, in dem ein winziges Baby liegt. Weil es schläft, kann
     ich nicht sehen, welche Farbe seine Augen haben. Die Ärmchen hat es aus dem Deckbett herausgestreckt, die kleinen, zu Fäusten
     geballten Hände mit den Däumchen nach außen links und rechts an die Wangen gelegt, die winzigen Fingernägel schimmern wie
     rosa Muscheln. Mit halb geöffneten Lippen gibt es im Schlaf kleine schmatzende Geräusche von sich. Bei jedem Atemzug hebt
     und senkt sich die flaumige Haut über den Fontanellen.
    »Was für ein hübsches Baby, Valentina! Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«
    »Ist Mädchen.«
    Jetzt fällt mir auch auf, dass die Decke mit rosa Röschen bestickt ist und dass auch die Ärmel des Jäckchens rosa sind.
    »Sie ist wirklich süß!«
    »Finde ich auch«, sagt Valentina stolz, als sei die Schönheit ihres Kindes ihre ganz persönliche Leistung.
    »Hast du schon einen Namen für sie?«
    |330| »Name ist Margaritka. Ist Name von mein Freundin Margaritka Zatshuk.«
    »Wie schön.« (Das arme Kind!)
    Valentina zeigt auf einen Stoß selbstgestrickter rosa Babywäsche auf einem Stuhl neben dem Bettchen. »Sie macht das.«
    »Wunderbar!«
    »Und ist Name von berühmtester englischer Präsident.«
    »Wie bitte?«
    »Mrs.   Tatscher.«
    »Ah – ja.«
    Das Baby bewegt sich, öffnet die Augen, sieht uns über sein Bettchen gebeugt und verzieht das Gesicht, unschlüssig, ob es
     lachen oder weinen soll. »Gah – gah«, macht es, wobei ein weißliches Tröpfchen Speichel in seinem Mundwinkel sichtbar wird.
     »Gah – gah.« Dann erscheinen auf seinen Wangen zwei kleine Grübchen.
    »Ah!«
    Ein wunderschönes kleines Mädchen, das einmal sein eigenes Leben leben wird. Nichts, was davor geschah, ist ihre Schuld.
    Vater muss mich kommen gehört haben, denn nun erscheint er in der Tür und strahlt mich an.
    »Schön, dass du kommen konntest, Nadia.«
    Wir umarmen uns.
    »Du siehst gut aus, Papa.« Er sieht wirklich gut aus, hat ein wenig zugenommen und ein sauberes Hemd an. »Mike lässt dich
     grüßen. Es tut ihm leid, dass er nicht mitkommen konnte.«
    Valentina hat keine Notiz von ihm genommen, als er eintrat, und jetzt dreht sie sich wortlos auf ihren hohen Absätzen um und
     geht hinaus. Ich ziehe die Tür hinter ihr ganz ins Schloss und frage Papa leise: »Und was hältst du von dem Kind?«
    |331| »Ist ein Mädchen«, flüstert er zurück.
    »Ich weiß. Ist sie nicht süß? Hast du herausgefunden, wer der Vater ist?«
    Vater blinzelt heftig und verzieht das Gesicht. »Ich jedenfalls nicht. Haha.«
    Aus einem Zimmer im ersten Stock dröhnen Heavy-Metal-Rhythmen herunter. Stanislavs Musikgeschmack ist offensichtlich aus Boyzone
     herausgewachsen. Vater fängt meinen Blick auf und hält sich die Ohren zu.
    »Degeneriert, diese Musik.«
    »Kannst du dich daran erinnern, Papa, wie du mich als Teenager keine Jazzmusik hören lassen wolltest? Da hast du auch gesagt,
     die sei degeneriert.« Ich habe es vor Augen, als sei es gestern gewesen, wie er in den
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