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Kurt Ostbahn - Kopfschuss

Kurt Ostbahn - Kopfschuss

Titel: Kurt Ostbahn - Kopfschuss
Autoren: Guenter Broedl
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ein zumindest halbwegs organisiertes Mitglied unserer Gesellschaft hin. Dann betreten wir das Wohnzimmer und somit das Epizentrum des Grauens.
    In dem mit Tonträgern, Büchern und Videokassetten vollgestopften Raum steht in grauen Schwaden der kalte Rauch. Zahllose Bierdosen, Kaffeetassen und randvolle Aschenbecher auf dem Fußboden, dem Schreibtisch und in den Regalen könnten als Hinweis darauf gedeutet werden, dass der Trainer verzweifelte Versuche unternommen hat, zwischen den Packen loser Blätter, Bergen von Mappen und Ordnern, unbeschrifteten Disketten und einer unüberschaubaren Sammlung kleiner, mit winzigen Schriftzeichen vollgekritzelter Zettel seiner Arbeit nachzugehen.
    „Also hier waren entweder Vandalen am Werk“, meint der Doc, „oder aber unser Freund hat ein massives psychisches Problem, das er vor uns bisher verbergen konnte. Wir sollten systematisch vorgehen, Kurt. Ich schlage vor, zuerst einmal ordentlich durchzulüften.“
    „Super Idee“, sag ich und bahne mir den Weg zum Fenster.
    Der Doc inspiziert inzwischen die Heimelektronik des traurigen Single-Haushalts. Musikanlage (inklusive des antiken Lenco-Plattenspielers), kombiniertes Telefon- und Faxgerät, PC, Großbildfemseher und Videorecorder.
    „Sieht ganz danach aus, als hätte er die Wohnung ziemlich Hals über Kopf verlassen“, kommt der Doc zu einem ersten Urteil.
    „Kann ich verstehen“, sage ich und tanke am offenen Fenster, von dem aus man an klaren Tagen eine Fernsicht bis zu den grünen Hängen des Wienerwaldes hätte, zuerst einmal eine ordentliche Dosis Frischluft. Denn irgendwie lähmt die Tristesse der Trainer-Bleibe den ansonsten zügigen Fluss meiner Gedanken.
    „Sowohl die Stereoanlage als auch das Videogerät wurden nicht ausgeschaltet“, sagt der Doc und holt jene CD aus dem Player, die der Trainer vor seinem übereilten Abgang gehört haben mag. „Joe Ely. Letter to Laredo. Was sagt uns das, Kurt?“
    „Joe Ely? Typische Trainer-Musik, würd ich sagen. Texanischer Countryrock. Liegt nicht so ganz auf deiner Linie, Doc.“
    Doktor Trash hat einen höchst eigenwilligen Musikgeschmack. Wenn er seinem blutigen Handwerk nachgeht, lässt er sich am liebsten von Burt Bacharach oder den Ray-Conniff-Singers beschallen, in seinen kurzen Ruhephasen sorgen Nico, John Cale oder Joy Division dafür, dass in der Datenzentrale in der Kirchengasse nicht zu viel Fröhlichkeit aufkommt.
    „Alles klar“, meint der Doc und schiebt Joe Ely zurück in die Musikmaschine. „Das übliche Fernweh-Programm für den sentimentalen Biertrinker.“
    „Quasi“, sage ich, obwohl mir sein abschätziger Ton gar nicht gefällt.
    Die Videokassette, die er nun aus dem Recorder holt, trifft eindeutig mehr seinen Geschmack: Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia. Sam Peckinpah. 1974: „Grandiose Blutoper mit dem wunderbaren Warren Oates als versoffenem Barpianisten in Mexiko, der für zehntausend Dollar auch nicht davor zurückschreckt, eine noch ziemlich frische Leiche auszugraben, ihr den Kopf abzuhacken, und dann mit seiner Trophäe, die sich bereits im Zustand fortgeschrittener Verwesung befindet, mordend und delirierend durch die Wüste fährt, um das Kopfgeld zu kassieren.“
    „Grauslich“, sage ich. „Hast du dem Trainer den Film ans Herz gelegt?“
    „Das war nicht nötig“, meint der Doc mit einem bedeutungsvollen Blick auf die Videosammlung in den Regalen neben dem Fenster.
    Ich bin diesbezüglich nicht vom Fach, aber es ist auch für den Laien nicht zu übersehen, dass das Spielfilmangebot des Trainers von Mord und Totschlag beherrscht wird. Italo-Westem, Bruce-Willis-Gemetzel, Mafia-Massaker mit Al Pacino und Robert DeNiro, die gesammelten Einsätze von Dirty Harry sowie alles, was ich mir nie freiwillig über Serienkiller ansehen würde, vom Schweigen der Lämmer bis Sieben.
    „Und was hat das da in dem Blutbad verloren?“, frage ich mich laut. „Frühstück bei Tiffany, Sabrina, My Fair Lady?“ „Eine fürwahr erstaunlich umfangreiche Kollektion von Au-drey-Hepburn-Filmen“, meint der Doc. „Was meine alte These bestätigt, dass ein komplizierter und tendenziell düsterer Charakter wie der Trainer durchaus auch einen Sinn für weibliche Anmut und natürlichen Liebreiz haben kann.“
    „Erstaunlich“, sage ich. „Aber bringt uns das weiter?“ „Geduld“, sagt der Doc. „Wir haben gesehen, womit der Trainer vor seinem Verschwinden seine Freizeit verbracht hat. Lobenswerterweise mit der Lektüre von T. C. Boyle
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