Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurier

Kurier

Titel: Kurier
Autoren: J Berndorf
Vom Netzwerk:
was ist denn wirklich passiert?«

    »Das wissen wir eben nicht, Herr Abgeordneter. Als wir
auf die Sache aufmerksam wurden, war die Leiche schon verbrannt.«

    »Prima«, sagte ich erheitert, »prima!«

     
    Vielleicht können Sie sich jetzt vorstellen, was
passiert ist, als dieser Untersuchungsausschuss in Bonn konstituiert wurde und
seine Sitzungen aufnahm. Ich besorgte mir die Protokolle auf Umwegen, da das
Thema innere Sicherheit absolut nicht mein Feld ist. Ich las atemlos, was die
hohen Damen und Herren miteinander beredeten, wen sie befragten und zu welchen
Schlüssen sie kamen. Ich war entsetzt, was sie alles übersehen und wen sie nicht
angehört hatten.

    Ob Sie es glauben oder nicht: Keiner der wirklichen Akteure
in diesem höchst dreckigen und blutigen Krieg wurde als Zeuge einvernommen. Das
wäre auch viel zu riskant gewesen, denn sie kochten alle ihr Süppchen. Die Ausschussmitglieder
suchten sich für ihre langen Verhandlungen exakt die Zeugen aus, die garantiert
nicht einmal annähernd begriffen hatten, um was es eigentlich ging. Sie wollten
alle nur eins: den alten, bequemen Zustand wiederherstellen.

    Noch etwas muss ich erwähnen. Sie werden erstaunt sein, dass
ich bestimmte Dialoge präzise beschreibe, obwohl ein Teil der Gesprächspartner
längst tot ist, also nicht mehr befragt werden konnte.

    Sie müssen mir in diesem Punkt vertrauen: Ich habe kein
einziges Gespräch um der Spannung willen erfunden oder des Kitzels wegen
verändert. Zuweilen werden Sie sich verblüfft fragen, woher ich denn diese oder
jene Einzelheit wissen kann. Nun, meine Recherchen waren sehr genau, und
immerhin verfügte ich über einige ernst zu nehmende, verantwortungsbewusste
Zeugen.

    Ein Beispiel: Der Held der Geschichte, Jobst Grau,
schlief mit seiner zeitweiligen Lebensgefährtin ein einziges Mal auf einem
Bettvorleger. Die Dame nahm anschließend diesen Bettvorleger und stopfte ihn in
die Waschmaschine. Woher ich das weiß? Diese Dame führt seither in Bonn den
Spitznamen ›die Trockenschleuder‹ …

    Und was ist nach all den Befragungen und Untersuchungen
geblieben? Geblieben sind Menschen, die heilfroh sind, dass die Ausschusssitzungen
so gewollt ergebnislos verlaufen sind. Menschen, die jetzt wieder ihren
Geschäften nachgehen und langsam zu den alten Praktiken zurückfinden: zu
Grausamkeit, Brutalität und Einschüchterungsversuchen.

    Und dann gab es noch eine witzige Lovestory, so unglaublich
Ihnen das erscheinen mag. Sie ist der tröstliche Aspekt der Angelegenheit, die
immerhin mindestens sechs Menschenleben forderte – wie viele genau, weiß ich
noch immer nicht.

    Der letzte Bericht, der mich ebenfalls auf Umwegen erreichte,
besagt, dass Held und Heldin sich in der Nähe von Nizza ausruhen. Wörtlich
heißt es: »Grau und Kern erholen sich. Die Frau scheint weitgehend schmerzfrei
zu sein. Manchmal schiebt er sie in ihrem Rollstuhl im Laufschritt am Strand
entlang. Sie albern herum, was lächerlich wirkt. Im Hotel verlassen sie selten
das Zimmer. Das Personal ist eifrig bemüht, sie in allen Punkten
zufriedenzustellen. Ein von mir befragtes Zimmermädchen erklärte naiv: ›Wir achten
darauf, dass Frau Kern wieder in Form kommt. Dazu ist es notwendig, sie
aufzupäppeln. Sie macht am Tag mehrere Male Liebe, und das tut ihr besonders
gut.‹ Eine ernst gemeinte Lebensplanung konnte ich bei beiden zu Observierenden
nicht feststellen. Irgendwelche Treffen im Sinne von den Staat zersetzender
Arbeit fanden wohl nicht mehr statt.«

    Natürlich wollen Sie wissen, wer diese Berichte schrieb.
Sie stammen von einem zweiundfünfzigjährigen Außenagenten des
Bundesnachrichtendienstes in Pullach mit einer starken Neigung zu Bluthochdruck
und ständigen Magengeschwüren. Nun könnte es sein, dass Sie diesen Bericht im
Kreise Ihrer Lieben diskutieren wollen. Ich sollte meine Identität preisgeben,
weil Sie streng genommen nicht einmal wissen, ob ich eine Frau oder ein Mann
bin, nicht wahr? Nun gut: Nennen Sie mich für die Dauer der Lektüre einfach ›Onkel
Hermann‹. Wir werden uns ohnehin nie kennenlernen.

Alte Bekannte

    Meckems Ausbruch war gewaltig. Er stand so schnell und
ruckartig auf, dass seine Kniekehlen den Schreibtischstuhl rückwärts gegen das
Bücherregal schleuderten. Ein Plastikglobus stürzte ab und platzte mit einem lauten
Plopp. Grau wunderte sich den Bruchteil einer Sekunde, warum kein Wasser aus
der Kugel floss. Bei Meckems Vorliebe für den Kitsch dieser Zeit war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher