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Kurier

Kurier

Titel: Kurier
Autoren: J Berndorf
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bestehen, dass man sie Angie nannte? »Und, bitte, ja englisch
aussprechen.« Wie lange lebe ich jetzt mit ihr zusammen? Drei Jahre? Dreißig
Jahre?

    Er trottete zu seinem Büro, öffnete die Tür und sagte in
Monheims rundes, schwitzendes Gesicht: »Ich gehe in Urlaub.«

    Ohne aufzublicken, erwiderte Monheim zerstreut: »Da war
ein Anruf für dich, klang amerikanisch oder englisch. White oder Weiß, was weiß
ich. Er sagte, er ruft noch mal an. Hat der Chef dich durch die Mangel
gedreht?« Monheim war nicht wirklich an ihm interessiert.

    »Leider nein.« Grau starrte auf Monheims Bildschirm, den
er hasste, weil er so vollkommen lautlos Vieldeutigkeiten produzierte. Er beschloss,
irgendwo einen Kaffee zu trinken und ein Stück Obsttorte mit einer doppelten
Portion Schlagsahne zu verdrücken. Angie würde jetzt sagen: Sahne schmiert die
Seele! Zuweilen sagte sogar sie etwas Wahres.

    »Ich dachte, er schmeißt dich raus«, sagte Monheim, ohne
seine Arbeit zu unterbrechen.

    »Leider nein«, wiederholte Grau. »Hat dieser White gesagt,
wann er sich wieder meldet?«

    »In einer halben Stunde«, antwortete Monheim. »Jetzt muss
ich diesen Scheiß hier zu Ende schreiben, sonst schaffe ich es nie.« Er
bezeichnete alles, was er zu schreiben hatte, als Scheiß.

    Grau drehte seinen Stuhl zum Fenster, setzte sich hin und
legte die Füße auf das Fensterbrett. Er sah blinzelnd in den sommerlichen
Himmel. Warum hatte er sich darauf eingelassen, als Redakteur angestellt zu
werden? Warum verfolgte er Themen, die er gar nicht wollte, warum zelebrierte
er einen eingefahrenen kurzen, harten Stil, der ihm unangemessen schien, einen
Stil, der zuweilen wie ein rostiges Messer das Papier ritzte, der zuweilen auch
verlogen war?

    Dann schellte das Telefon. Es war Angie und sie fragte
mit hoher, ein wenig aufgeregter Stimme: »Was glaubst du, brauchen wir Filme
mit hunderter Empfindlichkeit oder besser mit zweihunderter? Denk dran, du fotografierst
gerne Schatten.«

    »Nimm zweihunderter«, sagte er. »Kauf zehn Filme. Das
lohnt sich wenigstens.«

    »Glaubst du, dass du mit zwölf Hemden auskommst?«
    »Aber ja«, antwortete er gutmütig. »Mach dir nicht so
viel Arbeit.«

    »Freust du dich ein bisschen?«

    »O ja«, sagte er.

    Er verschwieg den Streit mit Meckem, denn Angie würde
sich ängstigen. Alles ängstigte sie, was neu und unberechenbar war und ihren
zerbrechlichen Alltag zu zerstören drohte.

    »Wann kommst du heim?«

    »Gegen Abend«, sagte er. »Wie immer.«

    »Morgen um diese Zeit sind wir schon da«, sagte sie hell,
fast siegessicher.

    »Ja.« Er legte auf.

    Er hatte die Hoffnung aufgegeben, dass irgendetwas Unvorhergesehenes
ihm diese grässliche deutsche Gruppenreise auf die Sonneninsel vermasseln würde.
Sie hatte quengelnd gebeten, endlich dieses Pauschalangebot zu buchen, »wie
alle normalen Menschen«. – »Deine Art, Urlaub zu machen, ist so eigenartig«,
hatte sie geäußert. Das Wort ›eigenartig‹ war ein wütender Tadel. – »Was ist
denn an meiner Art, Urlaub zu machen, eigenartig?«, hatte er wissen wollen. –
»Na ja, du sagst zum Beispiel, wir fahren nach Saint-Tropez, aber in
Wirklichkeit mietest du eine Hütte in zwanzig Kilometern Entfernung und nimmst
dreißig Bücher über das Mittelalter mit. Ich bin erst siebenunddreißig, ich
will noch was erleben, ich will nicht so enden wie mein Exmann, der mit fünfundzwanzig
schon ein Greis war.« ›Wie mein Exmann‹ war gewissermaßen ein Schimpfwort.

    Plötzlich fragte er sich, warum er nicht einfach krank
wurde. Wenn er zu einem Arzt ginge, würde der irgendetwas finden. Zum Beispiel
nicht näher definierbare Schmerzen im Oberbauch.

    Das Telefon klingelte, Grau hob ab, jemand sagte: »Hello?«

    »Grau hier. Bitte?«

    »White hier. Al White, wenn Sie so gütig sein wollen,
sich zu erinnern.«

    »Ich erinnere mich«, sagte Grau mit einem hohlen Gefühl
im Bauch. »Wie geht es Ihnen?«

    »Na ja«, antwortete White vage. Er hatte eine tiefe, gut
geölte Stimme. »Ich toure ein bisschen durch Europa, um den Dreckladen in
Washington zu vergessen.«

    »Warum rufen Sie an?«

    »Weil ich Sie in guter Erinnerung habe. Können wir uns
sehen?« White lachte.

    »Wo sind Sie jetzt?«

    »In der Botschaft in Godesberg.«

    »Also doch dienstlich.«

    »Nein. Hier sitzen ein paar alte Kumpels, die ich besucht
habe. Also? Wie steht’s mit einem Kaffee? Wann? Wo?«

    Grau versuchte, sich an Whites Gesicht zu erinnern. Er
entsann sich der Haare: ein
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