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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff
Autoren: Gmeiner-Verlag
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das Bild gefunden hatte.
    Ohne es mit der Temporegelung allzu genau zu nehmen, steuerte sie den Polo durch die einsamen Straßen quer durch die Stadt und hinauf zum Wald.

40
    Das Jagdschloss lag verlassen. Zu dieser Stunde ruhten selbst Frühaufsteher noch in den Federn. Unterwegs hatte sie mehrmals versucht, Nina anzurufen, und jedes Mal die Mailbox erreicht. Sie ließ den Wagen nah am Waldrand stehen und lief zu einer Weggabelung. Die Trompeterstraße führte geradeaus in den Wald hinein. Der untere Weg war der richtige, wie sie nach wenigen Schritten erkannte, als sie das Holzschild ›Herzogsweg‹ entdeckte. Im leichten Trott lief sie bergab.
    Sie war nicht sehr weit gekommen, als sie ein Stück abseits vom Weg eine Bewegung bemerkte: Eine dunkle Gestalt zwischen den Bäumen. Mit einem Satz sprang sie in den Graben und warf sich auf den Bauch. Das Laub roch modrig, war aber halbwegs trocken. Ein Spaziergänger, der wie sie den Weg vom Parkplatz herunter nähme, würde sich über die Frau im Graben wundern. Der Mann unterhalb des Hangs könnte sie kaum entdecken, solange sie nur vorsichtig genug den Kopf über die Böschung streckte.
50 Schritte entfernt, bewegte er sich im rechten Winkel auf den Herzogsweg zu und kam nur langsam voran, weil er einen schmalen langen Sack über den Schultern trug und schwer daran schleppte. Während er den Weg überquerte, wurden ihr zwei Dinge klar: Es handelte sich um Regert, der irgendwo einen versteckten Parkplatz wusste. Und: Die Last bewegte sich und wurde zunehmend zappliger, bis Regert den Kopf wandte und mit der freien Hand hinter sich schlug.
    Wolfert und Milano mussten her! Sofort! Norma zog das Handy aus der Tasche. Kein Empfang! Ausgerechnet hier und jetzt? Zurück zum Wagen und Hilfe holen? Und Regert ziehen lassen? Schon war er im Begriff, ihrem Blick zu entschwinden, als er einen Gras bewachsenen Weg einschlug, der vom Herzogsweg fort und in ein buschiges Gelände hineinführte. Norma sprang auf und lief geduckt voran. Wenn sie richtig vermutete, befand sie sich unterhalb eines Aussichtspunktes, auf dem sie vor Jahren einmal mit Arthur gestanden hatte. Hinter der Abgrenzung fiel der Hang beinahe senkrecht ab und war in ihrer Erinnerung von Felsbrocken und Gebüsch überzogen; ein alter Steinbruch oder von der Natur zu einem Kessel geformt. Der Grasweg mündete in einen offenen Platz, der von hohem Gras bestanden und von jungen Bäumen und dichten Sträuchern umgeben war und sich in einem sanften Bogen fortzusetzen schien. Mehr konnte sie aus ihrem Versteck nicht erkennen. Sie hatte sich hinter einen Felsbrocken gerettet, als sie Regert erspähte, der sich in eine Senke zurückgezogen hatte und damit beschäftigt war, seine Last auszupacken. Er ruckelte am Stoff, bis zierliche nackte Füße zum Vorschein kamen. Darauf folgten schwarze Hosenbeine, ein blaues Shirt, ein blasses Gesicht und ein schwarzer, zerzauster Haarschopf. Nina blieb reglos liegen. Was hatte er ihr angetan? Norma musste an sich halten, nicht mit dem erstbesten Knüppel auf ihn loszustürmen.
    Er beugte sich herab, zerrte Nina an den Haaren hoch und schlug ihr auf die Wangen, bis sie sich aufbäumte und mit einem Hustenanfall zu sich kam. Er ließ ihr keine Zeit zur Erholung, sondern band ihr ein Tuch als Knebel um den Mund, fesselte ihr die Hände auf den Rücken und stellte sie auf die Füße. Halb ziehend, halb tragend schleppte er sie tiefer in den Kessel hinein, verfolgt von Norma, die das Gebüsch als Deckung nutzte und sorgsam darauf bedacht war, jeden Zweig zu vermeiden. Sie holte ihn ein, als er in einer Mulde Halt machte und seine Geisel an einen Baum fesselte. Nina hielt die Augen halb geschlossen und hing in den Stricken, als könnte sie sich ohne die Fesseln nicht auf den Beinen halten.
    Norma lauerte wenige Schritte weiter. Sie konnte Regerts Atem hören, als er nun zwei Armlängen entfernt vorbeiging. Kaum war er außer Sicht, kroch sie an Nina heran. Das Mädchen schien durch sie hindurch zu blicken. Norma riss den Knebel herunter.
    Nina stöhnte. »Er kam in die Wohnung. Wollte reden. Hat mich … gepackt … Spritze. Das Handy …«
    Auch das Telefon des Mädchens, das unter dem Stoff verborgen an der Halskette baumelte, half ihnen nicht weiter, wie sich Norma eilig überzeugte.
    »Später, Nina. Ruhig jetzt«, flüsterte sie und klappte das Taschenmesser auf, das eben so klein und handlich war wie die Klinge scharf. »Kannst du laufen?«
    Das Mädchen sackte zusammen, als die
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