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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff
Autoren: Gmeiner-Verlag
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einen Einzeltäter handelte. So absurd Normas Theorie von den Über-Kreuz-Morden klang, beim derzeitigen frustrierenden Zustand der Ermittlungen durfte man gar nichts mehr ausschließen. Falls die ehemalige Kollegin richtig lag, würde es schwer. Verteufelt schwer. Er glaubte nicht an das perfekte Verbrechen. Jeder Täter machte Fehler. Aber es würde mühsam. Kleinarbeit. Aktenberge. Überstunden. Als ob sich davon nicht längst mehr als genug angesammelt hätten.
    Er machte eine kurze Zwischenstation in der Wohnung, um ein Wurstbrot zu essen und sich umzuziehen, und fuhr danach ohne Plan aus der Stadt heraus. Als er den Wagen zur Platte hinaufsteuerte, wurde ihm klar, dass der Fall ihn nicht aus dem Griff ließ. Nun, da er einmal dort war, konnte er genauso gut beim Jagdschloss parken, einen Spaziergang machen und sich anschließend im Biergarten niederlassen. Ein frischer Wind strich ihm entgegen, als er bald darauf zügig über die Trompeterstraße wanderte. Hier auf der Kuppe war es deutlich kühler als in der Stadt, und er war froh über die Weste, in deren Tasche der Fledermausführer steckte. Vielleicht würde er bis zur Dämmerung bleiben. Bald zweigte ein Pfad nach rechts ab und führte an einem provisorisch umzäunten Areal entlang, dessen Bäume sich mit baumelnden Seilen und abenteuerlichen Konstruktionen schmückten. Das musste der Hochseilgarten sein, in dem sich Gruppen in Zusammenhalt und Teamgeist üben konnten. Mit Unbehagen fiel ihm Eppmeier ein, der erst kürzlich den Abteilungsleiter für ein solches Unternehmen begeistern wollte. In Gedanken schaute er sich bei dem vergeblichen Kraftakt zu, Luigi in die Baumwipfel hinaufzuwuchten, und fühlte sich völlig frei von dem Verlangen, dort oben über ein Seil zu hangeln. Für so vieles war kein Geld da! Warum also dafür auch nur einen Cent verschwenden? In der Hoffnung, dass die finanziellen Mittel eine so überflüssige wie unbequeme Fortbildung verbaten, spazierte er weiter und erreichte einen Aussichtspunkt. Ein Holzgeländer kennzeichnete den Verlauf des Steilhangs. Ein einsamer Wanderer, der dort abstürzt, malte Wolfert sich aus, würde auf Nimmerwiedersehen zwischen Gestrüpp und Felsbrocken verschwinden. Als ›Steinhaufen‹ war dieser Hang auf der Karte verzeichnet, wusste er und stimmte dem Namen gern zu. Weitere undurchdringliche Stellen gab es in diesem viel besuchten Waldgebiet überall. Der Jagdpächter, der das gewilderte Reh gemeldet hatte, war nach dem Fund gezielt auf die Suche gegangen und in abgelegenen Senken auf weitere Tierkadaver gestoßen, die von einem Pfeilschuss gezeichnet waren und zurückgelassen wurden, weil dem Wilderer der Abtransport wohl zu riskant erschien. Außerdem hatte der Jäger tierische Eingeweide gefunden, die Wildschweine und Füchse umher geschleppt hatten. Diese Aufbrüche ließen darauf schließen, dass der Wilderer die Beute nach Möglichkeit mitnahm. War der Wilderer identisch mit dem mordenden Bogenschützen?
    Genug gegrübelt! Er musste den Kopf frei bekommen – wenigstens für die kommenden Stunden. Entschlossen hob er den Blick und schaute über die waldigen Kuppen hinweg auf die Stadt im dunstigen Nachmittagslicht. Diese Stille ringsherum, nur unterbrochen vom Vogelgezwitscher. Wie gut das tat! Nach einem prüfenden Blick auf die spröde Holzbank setzte er sich und blieb, bis sich ein junges Paar näherte, das nur Augen für einander hatte. Gemächlich schlenderte er zum Ende der schmalen Lichtung und betrachtete das wahrhaft denkwürdige Denkmal, das – wie eine Tafel kundtat – mit der Absicht, an die Toleranz zu mahnen, hier inmitten des Waldes aufgestellt war. Ein Monument aus grauem und lackiertem Stahl, das ihn an einen Fahrstuhl mit roter Tür denken ließ, der in das geheimnisvolle Innere des Berges hinabführte, und in ihm den irrsinnigen Wunsch auf eine solche Entdeckungsreise weckte. War er so überarbeitet? Nach wenigen Schritten verflog der Fluchtgedanke, und er spürte, wie ihn die Ruhe umfing. Der Pfad folgte der Abbruchkante in sicherem Abstand, führte im letzten Stück steil bergab, bis er in einer Kurve auf einen Waldweg stieß, der ihn mit sachtem Anstieg zum Jagdschloss zurückbringen würde. Zwei Mountainbiker rollten heran, schlugen einen knappen Bogen und hetzten weiter. In seinem Rücken schnaufte ein Jogger und quälte sich mit kurzem Gruß vorbei. Wolfert spazierte gelassen voran. Der kräftige Wanderer, der ihm mit ausholenden Schritten entgegenstrebte, kam ihm
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