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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Fesseln nachgaben. Mit welchem Gift mochte der Doktor sie betäubt haben? Norma kniete nieder und schob die Arme unter Ninas Nacken und Kniekehlen, wollte sie hochheben, als ein Hüsteln sie herumfahren ließ.
    Sie brauchte einen Moment, ihn zu erkennen. Er hatte sich das Gesicht geschwärzt und die Jeans gegen einen Overall im Camouflagemuster getauscht. Dazu trug er wadenhohe Schnürstiefel. Ein schwerer Lederstulpen schützte den Unterarm, die Hände steckten in groben Lederhandschuhen. Was Norma besonders beeindruckte, war der Jagdbogen in seinen Händen. Der Pfeil mit der schwarzen Metallspitze schien präzise auf ihr Herz gerichtet.
    »Überrascht?«, fragte er.
    Sie räusperte sich. »Und Sie?«
    Der von Kohle verschmierte Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Durchaus! Das muss ich zugeben. Dieser Platz ist mein geheimer Ort, müssen Sie wissen. Auf Besuch bin ich nicht eingestellt.«
    »Hier halten Sie also Ihre Ausrüstung versteckt. So nah an einem beliebten Wanderweg?« Sie war verblüfft, wie normal sich ihre Stimme anhörte.
    Sein Lächeln wurde sanfter. »Genau darin liegt die Sicherheit. Wo, glauben Sie, würde den Jagdpächtern ein Fremder eher auffallen? In einem einsamen Waldstück, in das sich kaum ein Spaziergänger verirrt? Oder hier, wo Hinz und Kunz durch den Wald trampeln?«
    Nina wurde unruhig. Ihr Blick schien wachsweich. Norma richtete sich auf den Knien auf.
    Regert beobachtete sie lauernd. »Dass Sie mich gefunden haben, ist natürlich ein Problem. Nicht für mich. Für Sie!«
    Er spannte die Sehne. »Eine falsche Bewegung, ein Hilfeschrei, und Sie sind auf der Stelle tot. Das gilt auch für das Mädchen!«
    Norma nahm Ninas Hand. In der anderen Hand hielt sie das Taschenmesser bereit. Das Mädchen schloss die Augen und schien in tiefe Träume zu versinken.
    »Was haben Sie ihr gegeben?«
    »Ein überdosiertes Beruhigungsmittel. Über Spätfolgen müssen Sie sich keine Gedanken machen.«
    »Wie gut!«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, weil es keine Rolle spielt. Sie wird sterben. Hier und sofort! Doch der erste Pfeil gehört Ihnen, Frau Tann. Ich war nicht darauf eingestellt, Sie zur selben Zeit zu töten. Aber auch das ist kein Problem.«
    Norma zwang sich, ihn anzusehen, seinen Blick zu suchen. Sie wusste, dass sie Regert im Gespräch halten musste. Solange er redete, würde er nicht töten. Ninas Hand regte sich. Sie krallte sich um Normas Finger, drückte zu und ließ locker. Dann noch einmal.
    »Warum die Tochter? Ich dachte, die Warnung gelte Undine?«
    »Die Dohle war keine Warnung, sie war eine Drohung«, verbesserte er sie. »Ich habe Undine eine Kostbarkeit wiederbeschafft, damit wir uns gemeinsam daran erfreuen können. Zum Dank stieß sie mich von sich wie ein abgelegtes Kleidungsstück. So lasse ich mich nicht behandeln. Wenn ich den Jawlensky schon nicht zurückbekomme, nehme ich ihr etwas anderes, das sie liebt.« Er verzog den Mund. »Sie waren mir eine große Hilfe, Frau Tann. Indem Sie dafür sorgten, dass das Mädchen in der Wohnung allein blieb. Der Rest war einfach. Die Frau Galeristin geht erstaunlich sorglos mit ihren Wohnungsschlüsseln um. Die Kleine war eine leichte Beute.«
    »Sie wollen Undine bestrafen, indem Sie Nina töten? Das Mädchen trifft keine Schuld!«
    »Schuld! Was kümmert mich die Schuld? Die Schuld ist unerheblich. Hatte ich Schuld daran, dass meine Eltern so früh starben? War es meine Schuld, dass meine Frau sich mit einem anderen davonstahl? Dass zwei Mitarbeiter in Frankfurt verbotene Versuche machten, für die ich den Kopf hinhalten musste? Ich habe für so vieles bezahlen müssen, ohne der Verursacher zu sein. Das Leben fragt nicht nach Schuld und Unschuld.«
    »Und der Tod?«
    »Der Tod ist eine Gnade, wenn er so schnell kommt.«
    »Die Polizei weiß, wo ich bin. Die Kommissare Wolfert und Milano sind alarmiert.«
    »Unsinn! Hier ist ein Funkloch. Sie konnten keine Hilfe holen.« Die Armmuskeln spannten sich. Er zog die Sehne straffer.
    Norma starrte auf die Stiefel. »Warten Sie! Nur noch eine Frage.«
    Er zögerte. »Meinetwegen.«
    »Wie sind Sie an das ›Schweigende Rot‹ gekommen?«
    »Es war purer Zufall. Der Koffer interessierte mich zunächst gar nicht. Ich hatte einen jungen Rehbock erlegt und hierher gebracht. Später wollte ich ihn in aller Ruhe zerlegen, damit ich ihn stückweise im Rucksack nach Hause transportieren kann. Der Übermut packte mich, als ich oben am Parkplatz diese Leute sah, das verdruckste Pärchen und der
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