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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Riss?«
    Wolfert begegnete ihrem Blick mit einem kollegialen Lächeln, während er für einen Augenblick versuchte, sich auf ihren komplizierten türkischen Nachnamen zu besinnen, bevor er sich auf den Blut durchtränkten Stoff konzentrierte. Man musste sehr genau hinschauen, um den knapp vier Zentimeter langen Riss zu erkennen. »Sieht aus wie mit einer Rasierklinge durchtrennt.«
    »Oder mit einem Skalpell«, vermutete Milano.
    Sema öffnete die Knopfleiste. Die Wunde selbst war so unscheinbar wie der Schnitt im Stoff. Wenn man von der großen Menge Blut absah, die sie verursacht hatte.
    »Ein Messerstich«, brummte Milano.
    »Könnte man meinen«, bestätigte Sema und stand auf. »Bis man das hier sieht! Wir haben ihn vorhin schon einmal umgedreht. Fass bitte mit an, Luigi.«
    Milano half ihr, den Toten auf den Bauch zu drehen und Jacke und Hemd in Richtung Hals hinaufzuschieben. Dicke Blutflecken auch hier, auf den Stoffen und auf der Haut, aber nur wenige Tropfen im Laub und auf der Erde ringsherum.
    Milano betrachtete das Opfer verblüfft. »Hat man ihn von beiden Seiten angegriffen? Mit zwei Messerstichen verletzt?«
    Sema deutete auf die Wunde im Rücken, die der Verletzung auf der Brust glich. »Das glaube ich nicht. Ich denke eher, dass der Stich durch den Körper hindurchging. Von der Brust bis in den Rücken.«
    »Aber nicht an diesem Ort«, warf Wolfert ein.
    Sema teilte seine Annahme. »Wäre er hier getroffen worden, müsste mehr Blut im Laub sein. Die Kollegen haben drüben auf dem Parkplatz Blutflecken gefunden. Dort hinten starb er und wurde hierher geschleppt.«
    Milano verschränkte die Arme über dem stattlichen Bauch. Er mochte keinen Widerspruch von jungen Kollegen, erst recht nicht, wenn sie weiblich waren. »Ein Stich durch den Körper hindurch? Wie soll das gehen? Mit einer Lanze, oder wie?«
    Sema, die sich von seiner Arroganz nicht aus dem Konzept bringen ließ, zeigte eine Unbeirrbarkeit, die Wolfert an Norma erinnerte, als diese noch im Polizeidienst war – vor dem Geschehen in Kolumbien, das sie so aus der Bahn warf, dass sie den Dienst quittierte und sich seitdem als Private Ermittlerin durchschlug. Für Wolfert, der Polizist durch und durch war, bedeutete das eine sinnlose Verschwendung von Talent und Fachkenntnissen. Das Kommissariat hätte Normas Mitarbeit weiterhin sehr gut gebrauchen können. Auch in diesem Fall, war er sicher.
    Sema kniete wieder im Laub. »Die Durchschlagskraft muss enorm gewesen sein. Ich weiß nicht, wie man das mit einer Lanze schaffen soll. Ich denke eher an eine andere Waffe.«
    Skeptisch ließ Milano die Arme baumeln. »Ich lasse meiner Fantasie gern auf die Sprünge helfen.«
    »Was war es deiner Meinung nach, Sema?«, fragte Wolfert, um väterliche Freundlichkeit bemüht.
    »Ein Pfeil!«, erklärte die junge Kollegin selbstbewusst. »Abgeschossen von einer Armbrust oder einem Jagdbogen.«
    Milano schnaubte. »Du siehst zu viele Robin-Hood-Filme!«
    Wolfert schickte ihm einen tadelnden Blick. »Gibt es irgendeinen handfesten Hinweis auf die Tatwaffe?«
    Sema schüttelte den Lockenkopf. »Bislang nicht! Der Täter hat den Pfeil herausgezogen und vermutlich mitgenommen.«
    Milano verdrehte die schwarzen Augen, enthielt sich aber eines Kommentars.
    Wolfert half Sema, den Toten wieder in die vorige Lage zu bringen. »Fällt euch etwas auf? Seine Jeansjacke ist an den Schultern nass, nicht aber auf der Brust. Die Feuchtigkeit auf dem Rücken stammt vom Waldboden. Für mich sieht das aus, als habe er eine Weile im Regen gestanden.«
    Sema stimmte ihm zu. »Es hat heute morgen geschüttet, sagt Eppmeier, der bei Regen in Taunusstein losfuhr. Als er um 7 Uhr die Platte überquerte, hörte der Schauer schlagartig auf. Danach blieb es trocken, sagen die anderen Kollegen, die hier vorbeigekommen sind.«
    »Wer wohnt denn alles in Taunusstein?«, wunderte sich Wolfert.
    »Hast du nichts von dem Stau auf der A3 gehört? Zwischen Idstein und Niedernhausen ist ein Lastwagen in ein Taxi gerauscht.«
    Der Autobahnabschnitt galt als berüchtigte Unfallstrecke. Bei Staus wichen viele Autofahrer, die nach Wiesbaden wollten, auf die Platter Straße aus. Ein Auto nach dem anderen rollte vorüber, und zeitweilig kam der Verkehr ins Stocken. Aber das war unten vom Parkplatz aus eher zu hören als zu sehen. Das Niveau der Straße lag um einige Meter höher, und die Böschung wurde von einer Hecke gesäumt.
    Sema schaute zur Straße hinauf. »Von dort oben sieht man gar nichts.
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