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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff
Autoren: Gmeiner-Verlag
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anvertrauen? Damit es von der eigenen Tochter geklaut wird.«
    »Musste Nina überhaupt auf die offene Tür spekulieren? Besitzt sie keinen Wohnungsschlüssel?«
    Undine seufzte. »Ich habe ihr keinen gegeben. Vor allem, weil ich nicht heimlich Rico im Haus haben wollte. Allerdings war mein Ersatzschlüssel für ein paar Tage verschwunden. Ich dachte, ich hätte ihn verlegt. Es kann genauso gut sein, dass sie ihn genommen hat, um sich einen Nachschlüssel zu besorgen.«
    »Was sagt Nina zu deinem Verdacht?«
    Undine wechselte einen Blick mit Lutz.
    Er übernahm das Wort: »Bitte versteh das, Norma. Mutter und Tochter haben mit Mühe zueinander gefunden. Derartige Vorwürfe, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht, machen alles wieder kaputt.«
    »Das ist doch nicht eure einzige Sorge?«
    »Die Sache ist so«, setzte Undine umständlich an. «Rico geht es nur ums Geld. Er ist Leistungssportler, lebt auf zu großem Fuß und ist permanent pleite. Wenn es nach ihm ginge, würde er ein Lösegeld fordern, und ich bekäme das Bild zurück.«
    »Und Nina?«
    Undine seufzte angespannt. »So sehr ich den Jawlensky liebe, so sehr hasst sie ihn. Schon immer wirft sie mir vor, das Bild sei mir wichtiger als sie selbst. Ich befürchte, in ihrer kindischen Eifersucht könnte sie es beschädigen oder zerstückeln.«
    »Jemand muss den beiden auf den Zahn fühlen«, sagte Lutz. »So behutsam und vorsichtig wie möglich.«
    »Und dieser Inquisitor soll ich sein?«
    Undine wechselte den Tonfall, formulierte unverhofft milde: »Uns beiden ist klar, wir können nicht so gut miteinander, Norma. Aber du weißt, ich schätze Professionalität. In meinem Beruf wie in jedem anderen. Du verstehst deinen Job. Immerhin warst du früher Kriminalkommissarin. Und ich baue fest auf deine Verschwiegenheit.«
    Damit der eigene Mangel an Professionalität in diesem Fall nicht ans Licht kam? »Wenn du die Polizei außen vor lässt, warum wendest du dich nicht wenigstens an die Versicherung?«
    »Was sollte mir das nützen? Ich bin die Besitzerin eines Jawlenskys! Darauf kommt es mir an. Ich will das Bild wiederhaben und keine finanzielle Entschädigung.«
    »Verstehe, sobald die Versicherung zahlt, ist der Jawlensky für dich verloren.«
    Undine nickte bekräftigend. »Das ›Schweigende Rot‹ würde in den Besitz des Konzerns fallen, falls es irgendwann wieder auftaucht – was bei den meisten gestohlenen Bildern der Fall ist. Die Versicherung zahlt das Lösegeld an die Diebe.«
    »Und diese kriminelle Energie traust du deiner Tochter zu?«, wandte Norma zweifelnd ein. »Einen Bilderdiebstahl zu organisieren? Verhandlungen mit der Versicherung zu führen und Lösegeld zu fordern?«
    »Wie gesagt, gemeinsam mit diesem Rico! Darf ich mit deiner Hilfe rechnen?«
    Norma erhob sich. »Bedaure, Undine. Ich mache erst einmal Urlaub.«
    Undine schien verärgert, erwies sich aber als gute Verliererin. Höflich fragte sie: »Reist du allein?«
    Norma lächelte Lutz zu. »Mal schauen, wer mich begleitet.«
    Er blieb im Wohnzimmer zurück.
    Undine begleitete Norma zur Tür. »Ich wünsche dir eine schöne Zeit in Florenz. Danke für dein Kommen. Kann ich mich darauf verlassen, dass die Geschichte unter uns bleibt?«
    Norma versprach es. Eigentlich hätte die Angelegenheit damit erledigt sein müssen. Auf dem Weg nach unten drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf. Wie wurde der Alarm ausgelöst? Wer schlüpfte in die Wohnung, um den Jawlensky rauszuholen? Wie kam der Dieb an der Feuerwehr vorbei? Oder hatte er das Bild auf dem Dachboden versteckt? Spannende Fragen in einem Fall, der verglichen mit der Vermisstensache vom Frühjahr harmlos klang. Stünde nicht die Reise an, sie könnte glatt schwach werden. Und sogar für Undine arbeiten.

4
    Dienstag, der 10. Juni
     
    Das Tier war gewaltig. Eine wilde Mähne umströmte den mächtigen Hals, und der wuchtige Rumpf ruhte auf Säulenbeinen. Wie ein Kinderspielzeug klebte der Sattel auf dem breiten Rücken, und wie ein Monument verharrte das Pferd neben der kleinen blassen Frau, die die Zügel mit beiden Händen hielt und unter dem Reithelm zu verschwinden drohte. Die rote Regenjacke leuchtete im Sonnenlicht. Rastlos trat die Reiterin von einem gestiefelten Bein auf das andere.
    »Wie lange dauert das noch? Balthasar will nach Hause!«, rief sie den Kommissaren entgegen.
    Ein Eindruck, den Dirk Wolfert nicht teilen mochte, obwohl er von Pferden nichts verstand. Das Tier musterte die Polizeiwagen mit erhabenem Blick,
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