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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff
Autoren: Gmeiner-Verlag
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keine Ruhe. Kaum ist die Wohnung frei, verträgt er sich wieder?«
    »Gönne ihm das Eheglück«, entgegnete Josef friedfertig. «Wie geht’s nun weiter?«
    »Ich werde einen Makler anrufen. Trotzdem danke, Josef.« Sie würde Lutz um die Adresse bitten.
    »Da ist noch etwas«, sagte Josef. »Ich war eben bei einer Kundin im Dichterviertel. Vor der Galerie Abendstern herrscht ein ziemlicher Aufruhr! Mit Feuerwehrwagen, Polizei und jeder Menge Blaulicht.«
    Undine besaß eine Etage eines vierstöckigen Jugendstilhauses. Einen Teil der 200 Quadratmeter bewohnte sie, die übrige Fläche gehörte den Gemälden, Grafiken und Skulpturen überwiegend zeitgenössischer Künstler. Im Erdgeschoss praktizierten ein Zahnarzt und ein Heilpraktiker. In den oberen Stockwerken waren Wohnungen eingerichtet.
    »Bloß kein Feuer! Das wäre schlimm für Undine.«
    Die Galeristin hatte als Kind einen Brand miterleben müssen und hielt seitdem nicht einmal die Silvesterknallerei aus. Lutz fuhr mit ihr jedes Jahr in die einsamste Berghütte, die die Schweiz zu bieten hatte.
    Im Vorbeifahren sei ihm kein Qualm aufgefallen, erklärte Josef.
    Norma bedankte sich und rief sofort Lutz auf dem Handy an.
    Er war bereits dort. Die Besorgnis war seiner Stimme anzuhören. »Aus zwei Dachfenstern kam Rauch, und die Feuerwehr hat vorsichtshalber das gesamte Haus räumen lassen. Du kannst dir Undines Aufregung vorstellen! Zum Glück nur ein falscher Alarm. Jemand hat sich mit zwei Rauchbomben einen schlechten Scherz erlaubt.«
    Nur ein Scherz? In Normas Kopf setzte sofort der übliche Prozess ein: Wer? Wie? Warum? Das war ein Automatismus. Sie konnte nichts dagegen tun.
    »Könntest du herkommen?«, fragte er drängend. »Undine braucht deine Hilfe.«
    Verdient hatte sie es nicht. Normas Neugierde siegte. »In zehn Minuten, Lutz!«
    Sie machte sich sofort auf den Weg.

3
    Undine Abendstern hatte mit dem Kauf der Etage eine kluge Wahl getroffen. Das Haus lag im Dichterviertel inmitten einer geschlossenen Reihe repräsentativer Wohnhäuser, die Ende des 19. Jahrhunderts vom aufstrebenden Bürgertum errichtet worden waren und nun dank der Möglichkeiten der gut situierten Eigentümer eine gepflegte Gediegenheit ausstrahlten. Wie einige weitere Gebäude der Nachbarschaft trug das Haus unverkennbare Merkmale des Jugendstils, zu denen der gemauerte Rundbogen gehörte, der sich hoch über den Hauseingang wölbte, aber auch die blumigen Ornamente an der Fassade. Drinnen ließ sich Norma jedes Mal aufs Neue vom ausladenden Treppenhaus beeindrucken. Ihr gefielen die schmiedeeisernen Geländer und der Stuck unter der himmelhohen Decke. Undine war es mit vergnüglicher Leichtigkeit gelungen, die Ursprünglichkeit der Wohnräume mit Elementen zeitgemäßer Zurückhaltung zu verbinden und damit den idealen Rahmen für ihr eigenes Auftreten zu inszenieren. In der momentanen Situation jedoch fehlte ihr die Aura von Extravaganz und Professionalität. Sie wirkte höchst beunruhigt, beinahe fahrig, als sie Norma in den privaten Wohnraum führte. Dort wartete Lutz, der seine Schwiegertochter mit einem herzlichen Lächeln begrüßte, aber auf die übliche Umarmung verzichtete.
    Feigling!, dachte Norma und bereute für eine Sekunde ihr Kommen.
    »Einen Kaffee, meine Liebe?«, fragte Undine honigsüß.
    »Lass mich das machen«, bot Lutz an und verschwand in der Küche.
    Norma betrachtete das großformatige Ölgemälde zwischen den Fenstertüren, das keinen Konkurrenten in der Nähe vertragen hätte und den Raum mit seinen erdigen Farben und der dynamischen Pinselführung beherrschte. Der offene Kamin an der gegenüberliegenden Wand musste sich mit einem flüchtigen Blick begnügen. Den Jawlensky zeigte Undine hier nicht. Er lag wohl verwahrt in einem Banktresor.
    Der Hausherrin war Normas Interesse nicht entgangen. »Das Bild stammt aus der ersten Ausstellung der Südamerikaner. Du weißt, ich wollte das damals gemeinsam mit deinem Mann organisieren. Arthur hatte so gute Kontakte nach drüben. Nach seinem Tod musste ich die Arbeit allein stemmen, was mir, wie ich sagen darf, passabel gelang. Dabei konnte ich günstig an diesen Lobo herankommen. Heute ist er ein Vielfaches wert. Das gilt sicherlich auch für das Bild, das Pablo dir in Kolumbien persönlich schenkte. Soll ich es bei Gelegenheit für dich schätzen lassen?« Eine Spur Neid schwang in der Stimme mit.
    Norma wandte sich mit einem Lächeln um. »Danke, nicht nötig. Der materielle Wert kümmert mich nicht.«
    So
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