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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff
Autoren: Gmeiner-Verlag
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vier Klingeln. Milano stippte den wurstigen Zeigefinger neben das Schild mit der Gravur ›Metten‹. ›Reisinger‹ war auf einen Zettel gekritzelt und mit Tesafilm darunter geklebt. »Sieh an! Unser toter Freund wohnte nicht allein.«
    Wolfert hoffte im Stillen, dass niemand zu Hause war, obwohl die Begegnung dadurch nur aufgeschoben wäre. Das Überbringen von Todesnachrichten gehörte zu den bedrückendsten Seiten des Polizeiberufs. Nach seiner Einschätzung empfanden alle Kollegen so. Nur Milano beklagte sich nie und übernahm das Reden, wofür Wolfert ihm dankbar war.
    Der Summer ertönte. Im Obergeschoss wurden sie erwartet. Hin und wieder verfiel Wolfert in die nutzlose Angewohnheit, sich vorab ein Bild zu machen. Meistens lag er daneben und wurde auch dieses Mal eines Besseren belehrt. Unter dem Eindruck des teuren Wagens und des schicken Hauses hatte er sich auf eine arrogante 20-jährige Blondine gefasst gemacht. Sie wurden von einer Frau um die 30 empfangen, mit kleiner, rundlicher Figur und weichen Gesichtszügen. Die Haare trug sie schulterlang und offen, mit der Farbe von poliertem Ebenholz. Allein das tiefgründige Blau der Augen traf seine Vorstellungen, übertraf sie sogar.
    Milano warf ihm einen seltsamen Blick zu, streckte der Frau wohlerzogen die Hand entgegen und nannte seinen und Wolferts Namen. Sie stellte sich mit Mareike Reisinger vor.
    Beim Wort ›Kriminalpolizei‹ zuckte sie zusammen. »Ist was mit Pitt?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Weil er vom Joggen noch nicht zurück ist und ich auf ihn warte. Wir wollten zusammen ins Büro fahren.«
    »Dürfen wir reinkommen, Frau Reisinger?«, bat Milano höflich.
    »Bitte!« Sorge und Beunruhigung schwangen in dem einzigen Wort mit.
    Der Wohnraum entsprach Wolferts Vorstellungen. In Gedanken formulierte er für das Protokoll: Kalkweiße Wände, elfenbeinfarbene (nannte man das so?) Möbelbezüge, der Couchtisch zu kühl, der offene Kamin zu groß und offensichtlich ungenutzt. Das komplette Arrangement so kostbar wie glatt. Keine Pflanzen, keine Unordnung, kaum Persönliches. Auf der gläsernen Tischplatte lag der aktuelle Wiesbadener Kurier. Daneben stand eine Kaffeetasse.
    Mareike Reisinger wies auf das Sofa. »Bitte, setzen Sie sich! Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
    »Danke nein«, entgegnete Milano und entschied sich für den Sessel am Kamin. »Machen Sie sich keine Mühe.«
    Mareike Reisinger sank mitten auf das Sofa nieder. Wolfert scheute davor zurück, sich in die Nähe der jungen Frau zu setzen, die – je nach Temperament – sogleich in Tränen ausbrechen oder in eine Schockstarre fallen würde. Er trat an den Esstisch am Fenster heran und nahm sich einen Stuhl. Ein Hochlehner aus schwarzem Leder, nackt und kalt.
    Mareike Reisinger beachtete ihn nicht. Sie hatte den Blick fest auf Milano gerichtet. »Sagen Sie mir endlich, was los ist!«

5
    »Der abgelegte Ehemann, die holde Schöne und der Lover gemeinsam an einem Arbeitsplatz! Wenn das keine explosive Konstellation ist.«
    Milano auf dem Beifahrersitz, den er mit seiner Masse überflutete, blickte selbstgefällig geradeaus, wie Wolfert mit einem Seitenblick feststellte, um sich gleich darauf dem Verkehr auf der Bierstädter Höhe zu widmen. Ralf Reisinger sei auf dem Weg zu einer Nachkontrolle in einem griechischen Lokal, hatte er einer verschlafenen Sekretärin entlocken können. Um Reisinger nicht vorzuwarnen, rief Milano den Restaurantbesitzer an und verlangte barsch einen Rückruf, sobald sich der Kontrolleur blicken ließ. Er und Wolfert kannten den Wirt, und beide hatten ein Auge auf ihn, seit er Zeuge bei einem Einbruch war.
    Milano klopfte sich den Bauch. »Petrus, dieser Ganove, brutzelt das leckerste Gyros von ganz Wiesbaden. Wie knurrt mir der Magen!«
    Kein Wunder, es ging auf 12 Uhr zu, und sein zweites Frühstück war ausgefallen. Wolfert hatte keinen Appetit. Ihn beschäftigte die junge Frau, die während des Gesprächs den Tränen nahe gekommen war und sich inzwischen sicherlich die Augen ausheulte. Die Aufnahme des Toten, die ihr die Kommissare vorlegten, zeige Peter Metten, war ihrem Schluchzen zu entnehmen gewesen. Für diesen Mann, den sie Pitt nannte, hatte sie vor Kurzem ihre Ehe aufgegeben.
    Wie steckt man das weg als Ehemann? Die Liebe verloren, die Lebenspläne zerstört, und dazu kam die Demütigung vor den Kollegen. Lohnte es sich, für eine Frau wie Mareike Reisinger einen Mord zu begehen? Könnte überhaupt jemals eine Liebe den Tod wert sein? Wolfert
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