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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels
Autoren: C Harbach
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aus Moby-Dick , das ihres Vaters liebstes Stück Literatur, der
Ursprung seines alten Passworts und nicht ganz von ungefähr das Grabgedicht
eines mutigen und schönen Mannes war.
    Sie kannte es
auswendig, seit sie sechs Jahre alt gewesen war, und als sie einmal begonnen
hatte, benötigte sie den Zettel nicht mehr. Wenn ihr Vater es in seinen
Vorlesungen rezitiert hatte, hatte er das stets mit der Verve eines
Bühnenschauspielers getan, hatte sich durch die Ausrufezeichen geschrien, als
wollte er die Studenten daran erinnern, dass alte Bücher starke Gefühle enthielten.
Das konnte sie jetzt nicht tun, aber auf eine leise Art versuchte sie, der
Passage gerecht zu werden. Mike drückte ihre Hand.
    Als sie geendet hatte,
zog Mike eine Schere aus seiner Jacke und schnitt Schlitze in die Sporttasche,
damit sie sich mit Wasser füllte und sank. Henry und er knieten neben dem
Körper nieder, umfassten ihn jeder mit beiden Armen und hoben Affenlight sehr
langsam, um das Boot nicht zum Kentern zu bringen, hoch und über die Reling.

82
    —
    Sie standen zu viert – zu fünft, Contango mitgezählt – an
einem steinigen Strandabschnitt, der zu Beginn des Sommers von der Gemeinde
planiert worden war und noch immer weitläufige parallele Narben trug, wie ein
frisch geharktes Infield.
    »Nimmst du den Hund?«, fragte Pella Mike. »Ich muss zur Arbeit.«
    Schwartz runzelte die
Stirn. »Du hattest doch versprochen, dir heute freizunehmen.«
    Sie gab ihm die Leine
in die Hand und blinzelte Henry mit einem rotgeweinten Auge zu. »Es gibt
Freitage …«
    Sie umschloss Owen in
einer langen Umarmung, sie flüsterten einander etwas ins Ohr, dann tappte sie
in Richtung Kantine davon, wobei ihre Flip-Flops auf den hartgepressten Sand
klatschten.
    Die Wolken lösten sich
auf, und über dem See war die Sonne zum Vorschein gekommen. Owen würde jeden
Moment nach San José aufbrechen und von dort aus nach Tokio. Henry wollte
unbedingt etwas Angemessenes sagen, wollte Owen dafür danken, dass er so ein
guter Freund und Mitbewohner gewesen war, wollte ihm sagen, wie sehr er ihn
vermissen würde, aber jetzt waren seine Augen voller Tränen, und er brachte
nicht einmal ein Pass auf dich auf oder ein Wir sehen uns heraus. Owen fasste ihn tröstend an der
Schulter. »Henry«, sagte er. »Du bist begabt. Ich unterstütze dich.«
    Und dann waren es nur
noch Henry und Schwartz, die in ihren sandigen T-Shirts da standen. Der Schmutz
auf Mikes Gesicht und der wüst aussehende Fünf-Uhr-morgens-Bartschatten
darunter erinnerten Henry an ihre erste Begegnung in Peoria. Schwartz’
Geheimratsecken hatten sich seither noch verstärkt, Schultern und Brust waren breiter
geworden und hatten sich in einer Art vorzeitigem mittleren Lebensalter
eingerichtet. Aber seine Augen hatten immer noch diese Farbe von reinem
Ahornsirup, dieses Licht, das Menschen anzog wie Motten.
    »Wann fängt heute das
Training an?«, fragte Henry.
    »Nicht vor sieben.«
Schwartz sah auf seine Armbanduhr. »Wenn wir uns beeilen, kriegen wir das Loch
vorher zugeschüttet.«
    Sie liefen zum Friedhof
und schaufelten die Erde zurück in Affenlights ehemaliges Grab. Nachdem sie den
Rasen wieder darauf ausgelegt hatten, sah der Boden ein wenig uneben aus, als
hätte es ein leichtes Erdbeben gegeben, aber es schien unwahrscheinlich, dass
es jemand bemerken oder sich daran stören könnte. Sie schulterten die Schaufeln
und gingen zurück zum Campus.
    »Wo ist eure neue Wohnung?«,
fragte Henry.
    »Grant Street.
Anderthalb Blocks von der alten entfernt.«
    Sie gingen eine
Zeitlang schweigend nebeneinander her. Obwohl es noch recht früh war, sah Henry
einen gemieteten Möbelwagen in der Ferne vorbeifahren und dann noch einen. Es war
Erstsemester-Einzugstag.
    »Die neuen
Footballspieler sind nicht schlecht«, sagte Schwartz, als sie auf dem VAC -Parkplatz
stehen blieben. »Mal sehen, vielleicht bringe ich heute ein paar von ihnen zum
Kotzen.«
    Während Henrys
Krankenhausaufenthalt in South Carolina hatte er einen täglichen Termin bei
seiner Psychiaterin, Dr. Rachels, gehabt. Sie hatte eine Zuneigung zu ihm
entwickelt, oder zumindest ein Interesse an ihm, und war auch an den
Wochenenden vorbeigekommen, um ihre gemeinsamen Sitzungen fortzuführen.
Manchmal redeten sie zwei Stunden oder länger. Für Dr. Rachels waren die
ethisch fragwürdigen Dinge, die Henry getan hatte – mit Pella zu schlafen, das
Team zu verlassen –, nicht nur zu rechtfertigen, sie grenzten sogar ans
Heldenhafte, weil
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