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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels
Autoren: C Harbach
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wartete darauf,
dass sie sagte, dass es an der Zeit sei, aber obwohl es ihr Vater war und ihre
Idee, wurde ihr bewusst, dass sie auf Owen wartete. Owen würde wissen, was zu
tun war. Sie holte eine warme Bierdose unter ihrer Bank hervor – sie hatten
zwar das Bier mitgebracht, aber nicht die Kühlbox –, öffnete sie und reichte
sie Mike. Mike gab die Dose an Henry weiter, und Pella zog noch eine hervor.
    Endlich drehte sich
Owen um. Er trug seine Westish-Kappe mit dem von einer Harpune durchbohrten W , und sein Gesicht glänzte nass im schwachen Licht der
Leselampe. Er lächelte und sah Pella an. »Ist es recht, wenn ich ein paar Worte
sage?«
    Sie setzten sich anders
hin, Owen und Henry auf einer Bank, Pella und Mike auf der gegenüberliegenden.
Owen ließ die Flasche Scotch herumgehen.
    »Vielleicht sollten wir
die Köpfe senken«, sagte Owen. »Keine Sorge. Ich werde mich auf keinerlei
brotbasierte Religionen berufen.«
    Sie senkten die Köpfe.
Der Strahl von Owens Leselampe fiel der Reihe nach auf sie und verharrte dann
auf der marineblauen PVC -Tasche zu ihren Füßen. »Guert«, begann
er. »Auf die Gefahr hin, rührselig zu werden, möchte ich dir doch sagen, dass
du für lange Zeit ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens warst. Ich las
dein Buch, als ich vierzehn war, und es gab mir zu einer Zeit Mut, als ich Mut
benötigte. Als wir uns vor drei Jahren zum ersten Mal begegneten, geschah das,
weil du mich für das Maria-Westish-Stipendium ausgewählt hattest – noch ein
Grund dafür, dass ich dir auf ewig dankbar sein werde. Denn sonst wäre ich nie
nach Westish gekommen und hätte nie die Menschen kennengelernt, die jetzt an
meiner Seite sind. Meine eigenen lieben Freunde, wie es bei Whitman heißt. Wir
beide wurden allerdings erst vor kurzer Zeit Freunde. Und natürlich bedaure ich
es, dass unsere Zeit, dass deine Zeit so knapp bemessen war.«
    Owens Stimme zitterte.
Er schloss die Augen, öffnete sie wieder.
    »Du hast mir einmal
gesagt, dass man nicht mit einer Seele geboren wird, sondern dass sie erst
gebildet werden muss, durch Versuche und Irrtümer, Lernen und Liebe. Und du
hast dich dieser Aufgabe hingebungsvoller gewidmet als die meisten anderen Menschen,
der Aufgabe, eine Seele zu bilden – nicht zu deinem eigenen Nutzen, sondern zum
Nutzen derer, die dich kannten. Das ist einer der Gründe dafür, dass dein Tod
so schwer für uns ist. Es ist schwer zu akzeptieren, dass eine Seele wie deine,
die zu bilden ein Leben lang gedauert hat, aufhören kann zu existieren. Es
macht uns zornig, rasend vor Wut auf das Universum, dich nicht bei uns zu
haben. Aber natürlich existiert deine Seele doch, Guert, weil du sie so
verschwenderisch geteilt hast. Sie existiert in deinem Buch, in diesem College
und in jedem von uns. Dafür werden wir immer dankbar sein.« Owen hob den Kopf
und mit ihm den Strahl der Leselampe. Wieder glitt er der Reihe nach über sie
hinweg. Er lächelte. »Und wir vermissen auch deine körperliche Hülle, die
ebenfalls schön war.«
    Pella weinte
Sturzbäche, so leise sie konnte. Das mit dem Schaffen einer Seele – sie fragte
sich, ob ihr Dad das wirklich gesagt hatte oder ob Owen es sich hergeleitet
hatte, als eine Art Synthese dessen, woran ihr Vater geglaubt hatte. So oder so
war es bemerkenswert, und zum ersten Mal bekam sie einen Eindruck davon, wie
nah sie sich gewesen waren, dass ihre Beziehung wohl nicht die statische,
einseitige Art schwärmerischer Anbetung gewesen war, die in ihre bequeme Vorstellung
gepasst hatte, sondern etwas Wahres und Mächtiges.
    Sie zitterte, und Mike
legte den Arm um sie. Trotz der fürchterlichen Hitze des vergangenen und des
kommenden Tages, trotz der Hitze des Scotchs, den sie getrunken und getrunken
hatte, sowohl aus Owens Flasche als auch aus ihrem Flachmann, fühlte sich die
Vier-Uhr-morgens-Brise, die über das Wasser kam, schneidend und eisig an. Es
war an der Zeit, dass sie irgendetwas sagte, dass sie sich ihrem Vater gegenüber irgendwie angemessen
verhielt, aber es gab zu vieles zu sagen und keine Möglichkeit, es
auszudrücken.
    Owen streckte den Arm
aus und reichte ihr etwas. Ein Stück Papier, zweifach gefaltet. Sie entfaltete
es, aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen.
    »Hier.« Owen nahm seine
Harpooners-Kappe ab und setzte sie Pella, die sich nach vorn beugte, auf den
Kopf. Im Licht der batteriebetriebenen Lampe erkannte sie, was er ihr gegeben
hatte: eine maschinelle Abschrift von »Die Leeküste«, jenem kurzen Kapitel
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