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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels
Autoren: C Harbach
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schaute aufs Display und steckte es dann wieder weg.
    Henry schlief tief und
fest in dieser Nacht, müde von vier Stunden Tischtennis und seltsam beruhigt
von Owens leisem Schnaufen. Am Sonntagabend vibrierte dann schließlich Owens
Telefon, und er verschwand wieder.
    Auch in seiner
Abwesenheit kündete Phumber 405 so deutlich von seiner Existenz, dass
Henry, während er allein und verwirrt auf seinem Bett saß, oft der unheimliche
Gedanke überkam, dass in Wirklichkeit Owen da war und er selbst nicht. Auf dem
Regal standen Owens Bücher, seine Bonsais und Topfkräuter flankierten das
Fensterbrett, und auf seiner drahtlosen Anlage lief rund um die Uhr seine
karge, kantige Musik. Henry hätte andere Musik auflegen können, aber er besaß
selbst keine, also ließ er sie laufen. Owens teurer Teppich bedeckte den Fußboden,
seine abstrakten Gemälde die Wände und seine Kleider und Handtücher die Bretter
im Schrank. Eines der Gemälde mochte Henry ganz besonders, und er war froh,
dass Owen es zufällig über sein Bett gehängt hatte – ein großes Viereck,
schlierig-grün mit feinen weißen Pfaden, die gut als die Spielfeldbegrenzungen
eines Baseballfelds hätten durchgehen können. Sein Marihuanageruch hing in der
Luft, gemischt mit den kräftigen Zitrus-und-Ingwer-Noten seiner Bio-Putzmittel,
obwohl Henry nicht hätte sagen können, wann er überhaupt rauchte oder putzte,
wo er doch so selten da war.
    Die einzigen Spuren von
Henrys Existenz hingegen waren die zerwühlten Laken auf seinem ungemachten
Bett, ein paar Fachbücher, dreckige Jeans über seinem Stuhl und mit Tesafilm an
die Wand geklebte Bilder von seiner Schwester und von Aparicio Rodriguez. Zero
lag im Schrank. Komm erst mal an, dachte er, Mike wird sich schon melden. Als nette Geste hätte er gern
einmal das Badezimmer geputzt, aber nie fand er auch nur ein Fitzelchen Dreck,
das er hätte entfernen können. Manchmal erwog er, die Pflanzen zu gießen, aber
sie schienen sehr gut ohne ihn auszukommen, und außerdem hatte er gehört, dass
zu viel Wasser tödlich sein konnte.
    Wenngleich seine
Kommilitonen angeblich »aus allen fünfzig Staaten, Guam und zweiundzwanzig
fernen Ländern« stammten, wie President Affenlight es in seiner
Begrüßungsansprache formulierte, schienen sie sich doch alle von der Highschool
zu kennen oder hatten zumindest einen entscheidenden Orientierungskurs besucht,
den er aber verpasst hatte. Sie bewegten sich in großen Rudeln, die permanent
per SMS mit anderen Rudeln Kontakt hielten, und begegneten sich zwei,
bedeutete das jedes Mal großes In-die-Arme-Gefalle und Wangengeküsse. Niemand
lud Henry zu Partys ein oder bot sich an, ihm ein paar Aufsetzer zu servieren,
also blieb er zu Hause und spielte Tetris auf Owens Computer. Alles Übrige in
seinem Leben schien sich seiner Kontrolle zu entziehen, aber die Tetris-Blöcke
fügten sich fein säuberlich ineinander, und sein Punktestand stieg und stieg.
Er notierte die täglichen Fortschritte in seinem Physik-Ringbuch. Wenn er
spätabends die Augen schloss, sah er die scharfkantigen Gebilde sich drehen und
hinabsegeln.
    Vor seiner Ankunft war
ihm Westish heroisch und großartig erschienen, bedeutsam und maßgeblich, wie
Mike Schwartz. Nun erwies es sich als Farce, träge, gewöhnlich und voller Makel
– eher wie Henry Skrimshander. Als er an seinen ersten Tagen auf dem Campus
schweigend von Vorlesung zu Vorlesung trieb, sah er Schwartz nirgendwo. Oder
besser gesagt, er sah ihn überall. Aus dem Augenwinkel erblickte er immer
wieder eine Gestalt, die diesmal eindeutig Schwartz war, aber wenn er sich
voller Eifer zu ihr umdrehte, erwies sie sich als irgendjemand anders, der nur
ganz entfernte Ähnlichkeit mit ihm hatte, oder als Mülltonne oder als überhaupt
gar nichts.
    In der südöstlichen
Ecke des Kleinen Hofs, zwischen Phumber Hall und dem Büro des Präsidenten,
stand auf einem quadratischen Marmorsockel die steinerne Statue eines Mannes.
Nachdenklich und mit buschigem Bart richtete er den Blick nicht, wie zu
erwarten gewesen wäre, in den Hof, sondern starrte stattdessen in Richtung See.
In der linken Hand hielt er ein aufgeschlagenes Buch, während die rechte ein
kleines Fernglas an die Augen hob, als hätte er soeben etwas am Horizont
entdeckt. Weil er dem Campus den Rücken zuwandte und dem Vorbeigehenden den
moosgefüllten Riss präsentierte, der über seinen Rücken lief wie ein
Peitschenstriemen, war er Henry von Beginn an als zutiefst einsame Figur erschienen,
die
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