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Kullmann

Kullmann

Titel: Kullmann
Autoren: Elke Schwab
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mehr Luft brauchte sie und umso schneller verlor sie ihr Bewusstsein. Nur noch ganz am Rande spürte sie, wie sie auf den Boden knallte und wie ein Kadaver darüber geschleift wurde. Sie konnte sich nicht mehr wehren, dieses Schleifen über den harten Boden schmerzte überall. Als wenn nacheinander die Lichter ausgeschaltet würden, driftete sie in ein eisiges Dunkel. Das Schleifen hörte auf und Ruhe kehrte ein. Ruhe, das war das Einzige, was sie noch wollte. Nur noch Ruhe. Sie hörte wie aus weiter Ferne, dass etwas zu knistern begann, dann hörte sie aus noch weiterer Ferne ein Scheppern, als würde eine schwere Tür zugeschlagen. Nacht und Finsternis hüllten sie ein.
    *
    Während Erik den Dienstwagen mit Vollgas steuerte, forderte Kullmann über Funk Verstärkung an. Er nannte dabei den mutmaßlichen Mörder von Peter Biehler und den Einsatzort.
    Schon aus der Ferne sahen sie die Rauchschwaden hochziehen.
    »Der Stall brennt! Fahr schneller«, rief Kullmann außer sich.
    Erik holte das letzte aus dem Wagen heraus, schneller ging es wirklich nicht mehr. Mit Blaulicht rasten sie an anderen Fahrzeugen vorbei, überkreuzten Ampeln bei Rot und schossen ohne einen Blick nach rechts oder links über Kreuzungen. Kullmann forderte zusätzlich die Feuerwehr an.
    Sie sahen sofort, dass die Scheune brannte. Hastig rannte Erik auf das Scheunentor zu. Aber es war durch eine dicke Kette mit Vorhängeschloss versperrt.
    Schnell sprang er auf einen Traktor, der neben der Scheune abgestellt war und startete den Motor.
    »Sie können nicht einfach da hineinfahren, sonst überfahren Sie Anke womöglich noch!«, rief Kullmann gegen den Lärm an.
    Wortlos warf Erik dem Alten ein Stahlseil zu, das er im Traktor gefunden hatte. Kullmann verstand sofort. Behände band Kullmann das Seil um die Kette am Scheunentor. Erik fuhr den Traktor an und mit einem Ruck brach das Tor heraus.
    Mit einem Tuch vor Mund und Nase rannte Kullmann in die brennende Scheune und fand Anke in der Nähe des Tors. Bei dem Anblick bekam er fast einen Schock. Ihre Hände waren mit Heuballenschnur hinten zusammengebunden und ihr Kopf steckte in einer schwarzen Nylontüte, die am Hals ebenfalls mit Ballenschnur festgebunden war. So schnell er konnte, trug er Anke aus den Flammen. Erik hatte die Situation blitzschnell erfasst. Mit seinem Taschenmesser in der Hand rannte er auf Kullmann und Anke zu und schnitt die Nylontüte auf. Ankes Augen waren geschlossen. Sie gab kein Lebenszeichen von sich.
    »Zum Glück hatten die Flammen sie noch nicht erreicht«, meinte Erik, als er ihr unversehrtes Gesicht sah.
    »Wenn sie noch lebt«, meinte Kullmann.
    Sie trugen Anke in eine sichere Entfernung. Erst dann suchten sie nach Lebenszeichen. Erik ertastete einen schwachen Puls.
    »Sie lebt noch!«
    Kaum hatte er das ausgesprochen, sahen sie beide eine schattenhafte Gestalt in Richtung Wald verschwinden.
    »Dann kann nur Helmut Keller sein! Den werde ich mir schnappen«, rief Erik und ließ Kullmann mit Anke zurück.
    Während Kullmann auf den Notarzt wartete, bemühte er sich, durch eine Mund-zu-Mund-Beatmung erste Hilfe zu leisten. In den kurzen Verschnaufpausen redete er ihr gut zu, obwohl er befürchtete, dass es sich wie leeres Geschwätz anhörte. Aber er strengte sich mit äußerster Kraft an, indem er Anke und sich tröstete, alles werde wieder gut.
    Endlich trafen Feuerwehr, Polizeikollegen und Krankenwagen ein. Völlig erleichtert sackte Kullmann vor Erschöpfung zusammen. Er sah noch, wie Ankes schlaffer Körper auf eine Bahre gelegt und beim Davontragen schon vom Notarzt versorgt wurde.
    Aber als sie ihn auch mitnehmen wollten, wurde er wieder hellwach und wehrte sich mit allen Mitteln dagegen. Auf keinen Fall wollte er jetzt in ein Krankenhaus gebracht werden.
    Die lodernden Flammen leuchteten bis zum Waldrand. Kullmann sah, wie Erik nach hinten kippte und sich jemand über ihn beugte. Erik konnte sich wieder aufrappeln. Ein gnadenloser Kampf der Giganten entbrannte, der so blitzschnell endete, wie er begonnen hatte. Erik schob Keller in Handschellen vor sich her. Kullmann konnte aufatmen. Keller, den die Kollegen abführten, würdigte er keines Blickes.
    In dieser Nacht fand Kullmann keinen Schlaf. Ständig stiegen die Schreckensbilder hoch, wie Anke leblos auf der Bahre lag. Hoffentlich bekam sie im Krankenhaus die beste Betreuung. Er wälzte sich hin und her, weil er vor Anspannung glaubte, innerlich zu zerreißen. Seine Machtlosigkeit – Anke gerade hier und
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