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Kullmann

Kullmann

Titel: Kullmann
Autoren: Elke Schwab
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aus und schob seinen Wagen an den Seitenrand.
    Es war so dunkel, dass er die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Langsam setzte er sich in Bewegung, wobei er auf seine Schritte achten musste, denn der Straßenrand war schadhaft und unbefestigt. Manchmal geriet er mit seiner Leibesfülle etwas ins Stolpern, konnte sich aber fangen.
    Vielleicht gehörte diese letzte Anstrengung mit zu diesem Tag, als Spiegel seiner vergangenen Mühen, die er ganz alleine und gegen die schwierigsten Hindernisse bewältigt hatte. Er glaubte das Knistern des Papiers zu hören, das unter seiner Jacke gut verwahrt war. Das ermunterte ihn, gegen seine Müdigkeit anzugehen, diese dümmliche Panne zu meistern. Das Papier war das Sprungbrett und die Garantie für seinen bevorstehenden Erfolg.
    Plötzlich hörte er ein Knacken hinter sich. Erschrocken drehte sich Nimmsgern um, konnte aber nichts erkennen.
    »Ist da jemand?«, rief er.
    Statt einer Antwort hörte er wieder das Knacken von Ästen. Rehe konnten das keine sein, das ahnte Nimmsgern. Das Knacken war so laut, dass es ein schwerer Körper sein musste, der auf die Äste trat. Es blieb ihm keine Zeit, darüber nachzudenken. Wenn er hier mitten im Dunklen verharrte, gäbe er ein leichtes Opfer ab. Durch diese Erkenntnis angespornt, beeilte Nimmsgern sich, dort wegzukommen. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er, dass ihm sein Übergewicht sehr zum Nachteil werden konnte. Es ging sehr schnell, da bekam er schon keine Luft mehr, aber er wollte sein Tempo nicht verringern. Seine Beine packten ihn nicht mehr und er begann ständig zu stolpern. Sein Kopf dröhnte und trotzdem hörte er in aller Deutlichkeit, dass das Knacken der Äste ihm im gleichen Abstand folgte. Sein Verfolger hatte mit ihm ein leichtes Spiel.
    Endlich gelangte er an eine Lichtung. Der Mond kam jetzt hinter den Wolken hervor, sodass Nimmsgern etwas sehen konnte. Er zog seine SigSauer aus der Jackentasche, hielt sie mit beiden Händen fest, nach Vorschrift ganz dicht am Körper, jederzeit zum Einsatz bereit. Hastig drehte er sich um und zielte. Aber das Einzige, was er sah, war ein Schatten, der in einem Dickicht verschwand.
    »Polizei! Bleiben Sie stehen, oder ich schieße!«
    Hinter dem Dickicht bewegte sich nichts mehr, und so verzweifelt Nimmsgern auch versuchte, dort etwas zu erkennen, fand er nichts. Angestrengt starrte er weiter in die Richtung, wo er den Schatten gesehen hatte. Vergebens. Nichts war zu hören, nichts zu erkennen. Sein Kopf bewegte sich ruckartig hin und her, um das Blickfeld zu weiten. Seine Augen blieben endlich an einem dicken Baumstamm hängen. Bewegte der sich nicht, wölbte der sich nicht zur Seite, mal links, mal rechts? Der Stamm schien sich schattenhaft zu verformen.
    »Legen Sie die Hände hinter den Kopf und kommen Sie langsam hinter dem Baum hervor!«
    Nichts bewirkte diese Aufforderung. Nimmsgern wollte soeben seinen Befehl wiederholen, da löste sich der Schatten von dem Baumstamm und verschwand in ein tiefschwarzes Dickicht. Nimmsgern konnte unmöglich von seiner Waffe Gebrauch machen. Niemand bedrängte ihn unmittelbar, dass er sich auf Notwehr berufen könnte. Er jagte möglicherweise einem Phantom hinterher.
    Als wenn sein unsichtbarer Gegner seine Gedanken lesen könnte, vernahm Nimmsgern von weitem ein leises Kichern.
    Gänsehaut kroch ihm über den Nacken. Mit wem hatte er es zu tun? Die Liste seiner Verwandten und Bekannten raste blitzschnell an ihm vorbei. Gab es einen Streit, der Rache forderte, ein Kriegsbeil, das ausgegraben werden musste? Niemand fiel ihm ein, der ihm Böses antun wollte. Und diejenigen, die nicht sehr glücklich über seine Ergebnisse sein würden, konnten unmöglich Wind von seinen Recherchen bekommen haben.
    Aber bald würde eine Bombe einschlagen. Dann würden die Karten neu gemischt. Er würde sich ein unvergessliches Denkmal setzen können.
    Also, wer blieb da noch?
    Sabotage!, schoss es ihm durch den Kopf. Aber das war doch unmöglich. Wie hätte jemand sein Auto so manipulieren können, dass es ausgerechnet an dieser Stelle stehen blieb?
    Angestrengt versuchte Nimmsgern eine Bewegung hinter der Dornenhecke auszumachen, aber wieder nichts. Sein Verfolger trieb ein makaberes Spiel mit ihm und war ihm haushoch überlegen.
    Plötzlich erblickte er eine Gestalt, die sich blitzschnell in Bewegung setzte. Ein mühsam herausgepresstes »Halt! Stehen bleiben!«, konnte den anderen nicht aufhalten. Er holzte durch das Gestrüpp, wobei er gelegentlich
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