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Kullmann

Kullmann

Titel: Kullmann
Autoren: Elke Schwab
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Eine derart unbefriedigende Situation hatte es in seiner langen Dienstzeit noch nicht gegeben.
    Als sie so ihren Gedanken nachhing, erinnerte Anke sich wieder daran, dass Nimmsgern bis zu seinem Tod an dem Fall Luise Spengler gearbeitet hatte und regelrecht davon besessen gewesen war, gute Ergebnisse zu bringen. Es tauchten Bilder von seinen letzten Tag auf, bevor er erschossen worden war. Nimmsgern hatte ihr vor seinem Weggang noch von einer unheimlich wichtigen Spur vorgeschwärmt, die endlich zu Luise Spenglers Mörder führen würde. Es war schon immer seine Art gewesen, in Rätseln zu sprechen. Sie erlebte ständig, dass er seine Kollegen auf Distanz hielt. Nimmsgern wirkte immer unnahbar und abweisend, was wohl mit den ständigen Hänseleien der Kollegen über seinen unersättlichen Hunger zu tun hatte. Wer weiß, vermutlich war er selbst unglücklich darüber, und alle hatten kräftig in dieser Wunde gerührt. Deshalb gab es niemanden, dem er sich anvertraut hätte; so hatte er vermutlich sein Geheimnis mit ins Grab genommen.
    Es war schon spät und rasch begann sie, ihren überfüllten Schreibtisch aufzuräumen. Die Tage wurden wieder länger, es war endlich wieder Frühling geworden. Das war ein Trost für sie, weil die Sonne sogar noch nach Feierabend lachte. Mit dem Kopf voller Pläne, wie sie ihren freien Abend verbringen wollte, bereitete sie sich auf den Heimweg vor, als Hübner ihr Büro betrat.
    »Willst du schon Feierabend machen?«, fragte er ganz vorwurfsvoll.
    »Ja! Mir ist nicht bekannt, dass ich die Pflicht habe, mich bei dir abzumelden«, konterte Anke böse. »Oder hast du dich schon vorsorglich selbst zum Chef ernannt?«
    Hübner überhörte einfach Ankes Ironie und begründete seinen Vorwurf: »Inzwischen ist Nimmsgern schon ein halbes Jahr tot, und wir haben immer noch keine Spur. Wie kannst du da nur an den Feierabend denken?«
    »Ganz einfach, weil ich nicht mit dir an dem Fall arbeite – hast du das schon vergessen? Dann erinnere ich dich daran: Ich arbeite zusammen mit Kullmann an dem Mordfall Luise Spengler.«
    »Ja, und die Ironie daran ist, dass der Fall Luise Spengler noch länger zurückliegt und noch nicht einmal klar ist, ob es wirklich Mord war. Du bringst keine Ergebnisse zustande und denkst nur an dich«, blieb Hübner hartnäckig.
    »Und noch viel ironischer ist, dass dich der Fall Luise Spengler überhaupt nichts angeht. Mach du deine Arbeit und ich meine! Was hältst du davon?«, blieb Anke genauso hartnäckig.
    »Verdammt, du verstehst überhaupt nichts mehr, seit du nur noch die Pferde im Kopf hast«, schimpfte Hübner nun endlich das heraus, was ihn bedrückte. »Dieser Mist ist dir schon bis in den Kopf gestiegen!«
    »Daher weht also der Wind! Mein Privatleben geht dich nichts an. Dass wir beide mal zusammen waren, heißt nicht, dass du dich heute noch in mein Leben einmischen kannst. Wann kapierst du das endlich? Ich lasse mich nicht von dir beleidigen. Da höre ich lieber auf den Rat meines Chefs und genieße mein Privatleben. Ich vernachlässige meine Arbeit nicht, verlass dich drauf!«, beendete Anke das Streitgespräch und zog ihre Sporttasche aus dem Schrank.
    Vor einigen Monaten hatte sie sich endlich dazu entschlossen, reiten zu lernen; davon war sie durch nichts abzuhalten. Die Arbeit mit den Pferden machte ihr unendlich viel Spaß. Zu Hause konnte sie sich kein Haustier halten. Ein Hund oder eine Katze würde viel zu viele Stunden in ihrer kleinen Wohnung alleine verbringen müssen, was sie keinem Tier antun wollte. Aber durch das Reiten erfüllte sie sich ihren Wunsch, ein Tier in ihrer Nähe zu erleben. Der Umgang mit den Schulpferden machte sehr viel Freude. Diese Tiere waren sehr brav und reagierten auch schon auf sie. Niemals hätte sie geahnt, dass Pferde so menschenbezogen und einfühlsam sein könnten. Sie waren ein wundervoller Ausgleich für ihre angespannte Polizeiarbeit und den ständigen Leistungsdruck. Ihr Herz schlug immer höher, wenn ein Pferd wieherte, sobald es ihre Stimme hörte. Seit sie mit ihrer früheren Freundin gelegentlich am Koppelrand gesessen und die Herde wild tobender Pferde beobachtet hatte, deren ungebändigte Lebensgier und deren Schönheit und Eleganz sie von Kindheit an fasziniert hatten, war ihr diese Idee wieder gekommen. Und sie bereute es nicht, obwohl sie schon einige Male heruntergefallen war und sich jede Menge blaue Flecken zugezogen hatte.
    Sie zog sich ihre Reithose und ein T-Shirt an, während Hübner im
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