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Kullmann

Kullmann

Titel: Kullmann
Autoren: Elke Schwab
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jetzt nicht helfen zu können – ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
    Als es hell wurde, hielt er es nicht mehr im Bett aus. Er fuhr geradewegs zur Notfallstation. Dort begegnete ihm der Arzt Dr. Weingard, den er von solchen Fällen kannte. Beim Anblick dieses sympathischen Mediziners, der die Gabe besaß, allein mit seinem verbindlichen Lächeln den schlimmsten Kummer zu mildern, hellte sich Kullmanns Gesicht auf.
    »Wie geht es Anke Deister?«, fragte Kullmann ganz gespannt.
    Dr. Weingard schaute ihn ernst an, nickte verständnisvoll, was Kullmann für einen Augenblick in den falschen Hals bekam, und sagte mit fester Stimme: »Sie hat verdammtes Glück gehabt. Zwar ist sie noch bewusstlos, aber ihr Zustand ist wieder stabil.«
    Kullmann kam sich vor wie ein Hochdruckkessel, aus dem jetzt langsam die Luft entweichen durfte.
    »Leider wissen wir nicht, wie lange die Sauerstoffzufuhr unterbrochen oder stark eingeschränkt war. Deshalb untersuchen wir ihr Gehirn in regelmäßigen Abständen mit Kernspintomografie und EEG, um ganz sicher zu sein. Bis jetzt sehen alle Gehirnströme normal aus, was uns natürlich sehr beruhigt.«
    »Befürchten Sie denn, dass Anke einen Hirnschaden davontragen könnte?«, staunte Kullmann.
    »Nun ja, das ist nie auszuschließen. Aber bis jetzt sieht es gut aus. Genau wissen wir es erst, wenn sie wieder wach wird«, meinte Dr. Weingard. Belustigt fügte er an: »Sie muss aber hartnäckig gegen ihren Feind gekämpft haben. Sämtliche Fingernägel sind abgebrochen und ihr ganzer Körper ist übersät mit Hämatomen. Also, leicht hat sie es ihrem Gegner nicht gemacht!«
    Darüber musste Kullmann schmunzeln.
    »Eigentlich freue ich mich ja, wenn ich Anke sehe! Aber muss es denn immer unter solch traurigen Umständen sein?«, sprach Dr. Weingard, wobei er sehr aufrichtig und traurig klang.
    Kullmann räusperte sich verlegen und fragte: »Hatten Sie sich nicht schon mal mit ihr verabredet?«
    Der Arzt wurde verlegen: »Ja, vor einigen Jahren, aber Anke hatte mich damals versetzt. Ich habe wohl keine Chance bei ihr!«
    »Nicht aufgeben, junger Mann.«
    Kullmann glaubte, ihr Gespräch sei damit beendet, doch Dr. Weingard schaute ihn so eindringlich an, dass er spürte, dass der Arzt noch etwas auf dem Herzen hatte.
    »Sie können mir alles sagen, was Anke betrifft«, munterte Kullmann den Arzt auf. »Sie ist für mich so etwas wie eine Tochter.«
    »Ich weiß, aber es ist etwas heikel!«, druckste der Arzt herum.
    Eine Weile blieb er sehr unentschlossen, ging einige Schritte auf und ab, während er unentwegt Kullmann im Auge behielt. Doch die Geduld des Alten, der darauf wartete, dass er endlich weitersprach, überzeugte ihn nun doch davon, dass es richtig sei, den freundschaftlichen Vorgesetzten ins Vertrauen zu ziehen, da er bisher noch kein Familienmitglied von Anke Deister zu Gesicht bekommen hatte: »Also, Anke ist schwanger!«
    Kullmann war sprachlos.
    »So schrecklich es auch klingen mag, aber sie hatte großes Glück, dass der Täter ihr die Nylontüte über den Kopf gestülpt hat«, fügte der Arzt nach einer kurzen Pause an.
    »Was wollen Sie damit sagen?«, insistierte Kullmann.
    »Dadurch hat sie keine Rauchgase eingeatmet, was bei der starken Rauchentwicklung, der sie unmittelbar ausgesetzt war, innerhalb weniger Minuten zum Tod geführt hätte. Das Kohlenmonoxid wirkt deshalb so schnell, weil es um ein Vielfaches schneller in das Hämoglobin des Blutes gelangt als der Sauerstoff. Somit verdrängt Kohlenmonoxid den Sauerstoff aus sämtlichen Blutkörperchen und dadurch wird die Fähigkeit des Blutes, Sauerstoff zu transportieren, verhindert. Das führt zwangsläufig zum Tod durch Ersticken. Woran sie und das Kind gestorben wären. Nur weil die Nylontüte das verhindert hatte, konnten wir sie und das Kind retten.«
    »Aber das Überstülpen der Nylontüte hätte doch ebenfalls einen Tod durch Ersticken zur Folge gehabt. Was ist da der Unterschied?«, fragte Kullmann, der zwar schon vielen Autopsien beigewohnt hatte, diese differenzierten Diagnosen nun doch nicht kannte.
    »Ja, sicher! Der Unterschied ist ganz einfach: Die Kohlenmonoxidvergiftung in dieser Konzentration geht viel schneller vonstatten als ein Tod durch Ersticken infolge Sauerstoffentzugs. Außerdem ist ein Mensch mit hochgradiger Kohlenmonoxidvergiftung nicht mehr zu retten, sollte es gelingen, ihn lebend aus dem Rauch zu bergen. Bei einem Austausch von über fünfzig Prozent Kohlenmonoxid gegen Sauerstoff ist dem
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