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Kuess mich toedlich

Kuess mich toedlich

Titel: Kuess mich toedlich
Autoren: Ruth Adelmann
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verschwinden, doch diese Möglichkeit gab es nicht. Er war gezwungen, in Sarahs Nähe zu sein und je mehr er das wollte, desto unruhiger wurde er. Ben verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Sie beschäftigte ihn viel zu sehr. Außerdem war das Verteilen von Flyern in der Kälte eine langweilige Angelegenheit, die Ben viel zu viel Zeit zum Grübeln verschaffte. Vermutlich schweiften seine Gedanken nur deshalb dorthin ab, wo er sie nicht haben wollte.
    Er musste wieder an den ersten Tag in dieser Stadt denken. Man hatte ihm bereits eine Wohnung zugewiesen – das verwaiste Loch –, in der er gegenüber von Sarah hauste. Ben war auf dem Weg dorthin gewesen, um sein Basis- und Beobachtungslager aufzuschlagen, als ihn jemand anrempelte. Er wollte sich gerade umdrehen, um zu sehen, wer beinahe mit ihm zusammengestoßen war, als es ihn wie ein Blitz traf. Ben starrte direkt in die dunklen Augen von Sarah, seinem neuen Zielobjekt, deren Foto er verinnerlicht hatte wie die Linien und Narben seiner eigenen Hand. Sie lächelte entschuldigend und schien ein wenig überrascht.
    »Verzeihung. Ich habe nicht aufgepasst .«
    Ben konnte nicht sprechen. Sein Mund war staubtrocken, und sein Kopf plötzlich wie leer gefegt. Seine Schultern und sein Oberarm, die sie flüchtig berührt hatte, prickelten unnatürlich warm. Er nickte. Starrte sie nur fassungslos an. So etwas war ihm noch nie passiert. Weder gelang es ihm, seine Fassade aufrechtzuerhalten noch konnte er dieses Gefühl unterdrücken, als würde er in einen Abgrund stürzen.
    Doch schon war sie weg. So schnell und unvermittelt, wie sie aufgetaucht war. Ben ertappte sich dabei, wie er seinen Oberarm anfasste, dort, wo sie ihn kurz gestreift hatte. Er wusste nicht, was das alles sollte. Aber nach dem Zusammenstoß gelang es ihm nicht mehr, diese wunderschönen dunklen Augen, die fast schon schwarz waren, aus dem Kopf zu bekommen. Dieses Erstaunen, mit dem sie ihn angesehen hatte, machte es auch nicht besser. Er hasste es, so überrumpelt worden zu sein, dass er sich nicht mal darauf hatte konzentrieren können, wie ihre Stimme klang. Er hatte versucht, alles mit einem Kopfschütteln abzutun, aber das Gefühl bei ihrem Anblick und der Gedanke an Sarah begannen Ben von da an zu verfolgen. Fast wie eine lästige Fliege, die man nicht abschütteln konnte.
    Der Tag war fast um, und die Kunden waren so gut wie ausgeblieben. Ein Mann war darunter gewesen, der Sarah etwas zu nahe gekommen war. Und wie üblich, ging Sarah auf Abstand und ihr Lächeln gefror zu einer Maske der Höflichkeit, während ihre Augen zu sagen schienen: »Lass mich bloß in Ruhe !«
    Die Blonde, deren Namen Ben nicht kannte, schien zu sehr in ihren Redeschwall vertieft, als dass sie hätte bemerken können, dass Sarah sich nicht wohlfühlte. Für Ben hatte es so ausgesehen, als hörte sie nur mit halbem Ohr zu.
    Auf dem Nachhauseweg ließ Ben Sarah kurz unbeaufsichtigt, um sich Vorräte zu besorgen. Wieder stellte sich diese nervöse Unruhe ein, die sich erst legte, sobald er in seine spärlich eingerichtete Unterkunft zurückkehrte und durch das große Fenster erkannte, dass es Sarah gut ging.
    Sie war dabei, zu Abend zu essen. Anders als er hatte sie sich ein herrliches Essen gezaubert und begnügte sich nicht mit dem Fertigfraß, der für ihn bereits zum Alltag gehörte. Es war ihm durchaus bewusst, dass zwei Betonwände und eine Straße sie trennten, und dennoch hatte er das merkwürdige Gefühl, mit Sarah zusammen zu essen. Ben schmunzelte und lachte über sich. Manchmal synchronisierte er sogar aus Spaß ihre Bewegungen. Aß, wenn sie aß. Trank, wenn sie ihr Glas hob. Dabei behielt er sie immer fest im Blick. Ihre Wohnung war nah genug, dass er sie auch ohne den Feldstecher sehen konnte.
    Er wartete, bis sie im Nachtgewand aus dem Bad kam und das Licht ausmachte, bevor auch er sich schlafen legte. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Seit seiner Kindheit, an die er nur ungern zurückdachte, schlief er nie länger als vier bis fünf Stunden an einem Stück. Es hatte sich festgesetzt. Doch heute wollte sich nicht mal ein leichter Schlaf einstellen, also begnügte er sich damit, auf der Matratze am Boden zu liegen und die Schatten an der Decke anzustarren, die die Lichter der Großstadt und der vorbeifahrenden Autos reflektierte.
    Gegen drei Uhr morgens schlief er endlich ein. Er träumte nicht. Wenn doch, erinnerte er sich nicht daran. Er konnte nicht behaupten, es würde ihn besonders
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