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Kuess mich toedlich

Kuess mich toedlich

Titel: Kuess mich toedlich
Autoren: Ruth Adelmann
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Seine jungen Jahre kamen ihm jetzt wie ein grausamer Witz vor und sein Gesicht, das er in der Seitenscheibe des Wagens sah, wie eine falsche Maske, die nichts von dem Mörder dahinter zu erkennen gab. Er fühlte sich seelenlos und leer. Doch es war nicht diese Leere, nach der er sich gesehnt hatte. Er wollte den Schmerz des Tötens nicht fühlen, vielmehr wollte er sich selbst nicht länger fühlen müssen.
    Es gab hier nichts mehr für ihn zu tun. Er hatte erledigt, was man ihm aufgetragen hatte. Sein grausamer Blutzoll für diese Nacht war erfüllt. Vorsichtig trat er von der Leiche zurück und wischte über den Türgriff, den er glaubte, kurz angefasst zu haben. Normalerweise wusste er solche Dinge mit absoluter Sicherheit. Aber nicht heute Nacht. Irgendetwas war anders, auch wenn er nicht genau sagen konnte, was. Es lag an ihm. Er fühlte anders. Fühlte mehr. Seine Menschlichkeit, von seinen Auftraggebern sorgsam unterdrückt, kam immer mehr zurück, wurde immer stärker.
    Sein Blick fiel in das Wageninnere, in dem er einen gelben Stoffaffen entdeckte, etwas, das nur für ein kleines Kind gedacht sein konnte. Der Mann, den er getötet hatte, war Vater. Die Erkenntnis grub sich wie eine eiserne Faust in seinen Magen. Wann war er zu diesem Monster geworden? Mit zitternder Hand fuhr er sich durch das Haar und fluchte lautlos. Er war doch niemals etwas anderes gewesen.
    Er wollte nur noch fort von hier, von allem, auch wenn es für ihn kein Entkommen gab. Unvermittelt starrte er in sein Spiegelbild, das ihm voller Verachtung und Ekel aus der Wagenscheibe entgegensah. Sein braunes Haar war vom Regen durchnässt, klebte auf seinem Kopf wie seine Kleidung auf seinem schlanken, durchtrainierten Körper. Seine Augen waren dunkler als gewöhnlich. Er hatte zu viel gesehen mit seinen jungen Jahren, zu viel erlebt.
    Er hasste dieses Gesicht, sein jungenhaftes Aussehen, hinter dem sich ein Monster verbarg. Doch nur er kannte die Wahrheit. Wusste, dass es weder Hoffnung noch Erlösung gab.
    Zorn und Hass wüteten so übermächtig, dass es ihn zu zerreißen drohte. Mit einem lauten, dumpfen Knall schlug er mit der Faust auf das Fenster ein, um sein Spiegelbild zu zerschmettern, das er nicht länger ertragen konnte.
    Mitten in dem spinnennetzförmigen Scherbenkreis ließ er seine geballte Faust ruhen, den Schmerz, der ihn durchströmte, ignorierend. Als er seine blutende Hand zurückzog, glaubte er, in der zerstörten Scheibe die Fratze eines Teufels zu sehen, die ihn anfunkelte. Die Einbildung erschreckte ihn dermaßen, dass er floh, auch wenn er längst begriffen hatte – vor sich selbst zu fliehen, war unmöglich.
    So schnell er konnte, rannte er in die verregnete dunkle Nacht. Niemand sah seine blutbefleckte Kleidung. Niemand hörte seinen keuchenden Atem. Niemand war da, außer ihm.
    Er lief, bis ihn das eiserne Hindernis eines Brückengitters stoppte. Er beugte sich über das Geländer und erbrach sich in den dunklen Fluss des Kanals, erbrach alles, was er so lange schon zurückhalten musste. Dennoch fühlte er sich weder erleichtert noch befreit. Er sank auf den feuchten Boden, rollte sich zusammen und schloss die Augen, die Arme um den Kopf geschlungen, um seine Tränen vor der Welt, die ihm all diesen Wahnsinn aufbürdete, zu verbergen.
    Nur das Rauschen des Kanalwassers drang zu ihm durch. Gedanken, die zu seinen Gedanken wurden, schrien ihn förmlich an.
    Spring!
    Bring es zu Ende!
    Tu es, dann hört alles auf …
    Und du musst nie wieder töten.
    Er war sich sicher, es würde nie aufhören und er würde nie davonkommen. Also musste er nicht länger nachdenken. In einer einzigen Bewegung beförderte er seinen Körper über die Brüstung in die dunkle Flut und wartete darauf, dass alles Denken und Fühlen endlich aufhörte.
    Das Letzte, woran er sich erinnerte, war der Geruch von nasser Erde und das Gefühl von nassem Stoff auf seinem Körper.

Kapitel 1
    Beobachtet
     
     
     
    J eder Nerv in Ben war angespannt, während er die junge Frau mit den kupferroten Haaren von seinem Versteck aus durch das Fernglas beobachtete. Sie stand vor dem Spiegel im Flur ihrer Wohnung und zwirbelte ihr Haar im Nacken zusammen. Mit schnellen geübten Bewegungen formte sie einen lockeren Knoten, den sie mit ein paar Haarklammern feststeckte. Der Moment war intim und besaß dennoch etwas völlig Normales. Eine hübsche junge Frau, die sich für den Tag zurechtmachte, sich unbeobachtet und sicher fühlte in ihren eigenen vier Wänden.
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