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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
Autoren: Warlam Schalamow
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aus der offenen Ofentür fiel in seine Augen – die Augen waren lebendig, tief.
    »Und ich«, und seine Stimme war ruhig und bedächtig, »wäre gern ein Klotz. Ein menschlicher Klotz, versteht ihr, ohne Arme, ohne Beine. Dann würde ich in mir die Kraft finden, ihnen in die Fresse zu spucken für alles, was sie mit uns machen.«
    <1960>

Wie alles begann
    Wie alles begann? An welchem Tag im Winter drehte der Wind, und alles wurde allzu schrecklich? Im Herbst waren wir noch bei der Arb …
    Wie alles begann? Die Brigade Kljujew wurde bei der Arbeit festgehalten. Ein unerhörter Fall. Die Grube war durch Begleitposten abgesperrt. Die Grube – das war Tagebau, ein riesiger Krater, um dessen Rand die Begleitposten standen. Und darin krabbelten Menschen herum, eilig und einander antreibend. Die einen insgeheim beunruhigt, die anderen – in dem festen Glauben, dass dieser Tag ein Zufall, dieser Abend ein Zufall ist. Wenn der Tag graut, der Morgen kommt – wird sich alles lichten, alles klären, und das Leben wird so sein wie im Lager, aber wie bisher. Festgehalten bei der Arbeit. Wozu? Bis der Tagesauftrag erfüllt ist. Leise winselndes Gestöber, feiner trockener Schnee schlug an die Wangen wie Sand. In den dreieckigen Strahlen der »Jupiter«-Scheinwerfer, die die nächtlichen Gruben ausleuchteten, kreiselte der Schnee wie Staubkörnchen im Sonnenstrahl, er glich den Staubkörnchen im Sonnenstrahl vor der Tür der väterlichen Scheune. Nur war in der Kindheit alles klein, warm, lebendig. Hier war alles riesig, kalt und böse. Die Holzkörbe quietschten, in denen man das Erdreich zu den Halden karrte. Vier Mann ergriffen den Korb, schoben, zogen, rollten, stießen, zerrten den Korb an den Rand der Halde, wendeten und kippten ihn und schütteten den gefrorenen Stein auf den Abhang. Die Steine rollten leise nach unten. Da ist Krupjanskij, da Nejman, da der Brigadier Kljujew selbst. Alle beeilen sich, doch die Arbeit nimmt kein Ende. Es war schon gegen elf Uhr nachts, und das Signal war um fünf gewesen, die Bergwerksirene hatte um fünf geheult, um fünf gewinselt, als die Brigade »nach Hause« entlassen wurde. »Nach Hause« – in die Baracke. Und morgen um fünf Uhr früh – Wecken und ein neuer Arbeitstag, und ein neuer Tagesplan. Unsere Brigade und Kljujews lösten sich in dieser Grube ab. Heute wurden wir zur Arbeit in die Nachbargrube geschickt, und erst um zwölf Uhr nachts lösten wir die Brigade Kljujew ab.
    Wie alles begann? Im Bergwerk kamen plötzlich viele, sehr viele »Soldaten« an. Zwei neue Baracken, Holzbarakken, die die Gefangenen für sich gebaut hatten, wurden an die Wache übergeben. Wir blieben den Winter über in Zelten – zerrissenen Planenzelten, nach den Sprengungen im Bergwerk von Steinen durchschlagen. Die Zelte waren winterfest gemacht: wir hatten Pfähle in die Erde gerammt und auf die Latten Teerpappe aufgezogen. Zwischen Zelt und Teerpappe – eine Schicht Luft. Im Winter, hieß es, füllt ihr Schnee hinein. Aber all das war später. Unsere Baracken wurden an die Wache übergeben – das ist der Kern des Ereignisses. Der Wache gefielen die Baracken nicht, denn die Baracken waren aus feuchtem Holz – die Lärche ist ein tückischer Baum, sie mag die Menschen nicht, und Wände, Böden und Decken trocknen den ganzen Winter lang nicht. Das war allen im Voraus klar – denen, auf deren Buckel die Baracken getrocknet werden sollten, und denen, die zufällig an die Baracken kamen. Die Wache nahm ihr Unglück als voraussehbare Härte des Nordens.
    Was braucht das Bergwerk »Partisan« eine Wache? Ein kleines Bergwerk, 1937 hatte es nur zwei-, dreitausend Häftlinge. Die Nachbarn von »Partisan« – das Bergwerk »Schturmowoj« und Bersino (das künftige Werchnij At-Urjach) – waren Städte mit einer Bevölkerung von zwölf-, vierzehntausend Häftlingen. Selbstverständlich, die Todesstrudel von 1938 haben diese Ziffern wesentlich verändert. Aber all das war später. Wozu braucht es heute eine Wache im »Partisan«? 1937 gab es im Bergwerk »Partisan« einen einzigen ständigen, mit einem Revolver bewaffneten Soldaten, der mühelos für Ordnung sorgte im demütigen Reich der Trotzkisten. Die Ganoven? Der Wachhabende drückte ein Auge zu bei den lieben Gaunerstreichen der Ganoven, bei ihren Raubzügen und Gastspielen – und in besonders brisanten Fällen hielt er sich diplomatisch fern. Alles war »friedlich«. Und jetzt plötzlich zahllose Begleitposten. Wozu?
    Plötzlich wurde eine
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