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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
Autoren: Warlam Schalamow
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Torfstücken gefüllt. Innen gab es Stangenpritschen, einstöckige. In der Mitte stand ein eiserner Ofen. Für jede Nacht gab man uns eine Portion Holz, die empirisch errechnet war. Allerdings hatten wir weder Säge noch Axt – diese scharfen Werkzeuge wurden bei den Wachsoldaten aufbewahrt, die in einem eigenen geheizten und mit Sperrholz verkleideten Zelt schliefen. Sägen und Äxte wurden nur morgens beim Ausrücken ausgegeben. In der benachbarten »Vitamin«außenstelle hatten nämlich einige Kriminelle einen Brigadier überfallen. Die Ganoven neigen sehr zur Theatralik und tragen sie auf eine Weise ins Leben, dass Jewreinow sie beneiden würde. Es war beschlossen, den Brigadier umzubringen, und der Vorschlag eines der Ganoven – dem Brigadier den Kopf abzusägen – wurde begeistert aufgenommen. Der Kopf wurde mit einer gewöhnlichen Quersäge abgesägt. Und darum verbot eine Order, den Häftlingen über Nacht Äxte und Sägen zu überlassen. Warum über Nacht? Aber in den Ordern suchte man niemals nach Logik.
    Wie sollte man das Holz zerkleinern, damit die Scheite in den Ofen passten? Dünnere Scheite wurden mit den Füßen durchgebrochen, und die dicken wurden mit dem dünnen Ende voraus in die Öffnung des brennenden Ofens geschoben und brannten allmählich ab. Irgendjemand schob sie mit dem Fuß tiefer – es war immer jemand zum Aufpassen da. Dieses Licht aus der offenen Ofentür war auch das einzige Licht in unserem Haus. Bis Schnee fiel, wurde das Haus vollkommen durchgeblasen, doch wir schichteten Schnee um die Wände herum, übergossen ihn mit Wasser – und unsere Winterhütte war fertig. Die Tür wurde mit einem Fetzen Planenstoff verhängt.
    Und hier, in diesem Schuppen, traf ich Roman Romanowitsch. Er erkannte mich nicht. Gekleidet war er als »Feuer«, wie die Ganoven – immer treffend – sagen, Wattefetzen standen von der Weste, den Hosen, der Mütze ab. Nicht wenige Male hatte Roman Romanowitsch wohl »nach einem Kohlestückchen« laufen müssen, um einem Ganoven die Papirossa anzustecken … Seine Augen glänzten im Hungerglanz, und seine Wangen waren rosig wie früher, aber glichen nicht mehr Luftballons, sondern spannten über den Backenknochen. Roman Romanowitsch lag in der Ecke und zog geräuschvoll die Luft ein. Sein Kinn hob und senkte sich.
    »Es geht zu Ende«, sagte Denissow, sein Nachbar. »Er hat gute Fußlappen.« Und geschickt zog Denissow die
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von den Füßen des Sterbenden und wickelte seine festen grünen Fußlappen aus Deckenstoff ab. »… So«, sagte er und sah mich drohend an. Aber mir war es egal.
    Romanows Leiche wurde herausgetragen, als wir vor dem Ausrücken antraten. Seine Mütze war auch nicht mehr da. Die Schöße der aufgeknöpften Steppjacke schleiften über die Erde.
    Ist Wolodja Dobrowolzew tot, der Pointist? Pointist – ist das eine Arbeit oder eine Nationalität? Das war eine Arbeit, die in den Baracken der Artikel-58er Neid weckte. Getrennte Baracken für die Politischen in einem allgemeinen Lager, in dem es Baracken für die »
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« und die Gewohnheitsverbrecher gab, hinter einem gemeinsamen Zaun, waren natürlich ein juristischer Hohn. Vor Überfällen des Gesindels und blutigen Abrechnungen unter Ganoven hat das niemanden geschützt.
    Der Point ist ein Eisenrohr mit heißem Dampf. Dieser heiße Dampf erwärmt das Gestein, das gefrorene Geröll; von Zeit zu Zeit holt der Arbeiter den erwärmten Stein mit einem Metalllöffel von der Größe einer menschlichen Hand und einem drei Meter langem Stiel heraus.
    Die Arbeit gilt als qualifiziert, denn der Pointist öffnet und schließt die Hähne mit dem heißen Dampf, der aus einer Bude durch die Rohre läuft, aus einem Boiler – einer primitiven Dampfvorrichtung. Am Boiler zu stehen ist noch besser als Pointist. Nicht jeder Maschineningenieur mit Artikel 58 kann von einer solchen Arbeit träumen. Und nicht darum, weil das eine Qualifikation war. Es war reiner Zufall, dass von Tausenden Leuten Wolodja diese Arbeit bekam. Aber das verwandelte ihn. Er brauchte nicht daran zu denken, wie er sich wärmen soll – der ewige Gedanke … Die eisige Kälte durchdrang nicht sein ganzes Wesen, hielt die Arbeit seines Hirns nicht an. Das heiße Rohr rettete ihn. Und darum beneideten Dobrowolzew auch alle.
    Es wurde geredet, dass er nicht ohne Grund Pointist wurde – das ist der sichere Beweis, dass er ein Zuträger ist, ein Spion … Natürlich, die Ganoven sagten immer – wenn du im Lager als Sanitäter
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