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Kuckuckskind

Kuckuckskind

Titel: Kuckuckskind
Autoren: Ingrid Noll
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liest. »Klar, dass er die Schuld auf andere abwälzen will«, meint er dann. »Aber du darfst dir diesen Schuh nicht anziehen. Übrigens hat Manuel angerufen.«
    »Na, wer sagt’s denn. Alles okay?«
    » Shit happens …, so begrüßte mich mein Sohn. Keine Rede von Walen, Trollen, Islandpferden und Geysiren, sondern nur von einem schrecklichen Schicksalsschlag!«
    »Nämlich?«, frage ich und hoffe sekundenlang, Isadora sei in einen Vulkan gestürzt. Da erst bemerke ich das belustigte Funkeln in Patricks Augen. »Manuels Schal hat es über Bord geweht.«
    »Bestimmt hat er der Oma seines Busenfreundes schon einen neuen in Auftrag gegeben. Und was macht dein zweiter Sohn?«, frage ich streng.
    »Meinst du Victor? Das Bärchen schläft den Schlaf des Gerechten, denn es hat sich den Bauch mit Banane vollgeschlagen. Zur Belohnung habe ich Edward, Edward angestimmt, was ihm anscheinend den Rest gegeben hat.«
    [307] Das finde ich gar nicht lustig. Ich singe Wiegenlieder von Schäfchen, Mondenschein und Blümelein, der alte Grizzlybär knödelt dagegen sein Junges mit einem totgeschlagenen Rotross in den Schlaf.
    »Reg dich nicht auf«, sagt er. »Das ist eben der Unterschied zwischen Männern und Frauen – die einen singen süßlich wie die Engel, die anderen mit Saft und Kraft und Leidenschaft.«
    Mir ist im Moment gar nicht nach munteren Reden, aber Patrick will wohl plaudern, um mich abzulenken.
    »Und dann hat sich noch die arme Martina gemeldet. Sie war gestern mit den Kindern am Baggersee und hat ein Tretboot gemietet. Als sie wieder an Land kamen, war ihre Brieftasche weg; dabei war sie angeblich unter Kleidern und Handtüchern in einer Seitentasche des Rucksacks versteckt.«
    »Das ist unerfreulich, aber soviel ich weiß, gibt es Schließfächer, wo man Wertsachen sicher verwahren kann.«
    Der Bademeister habe gesagt, dass Diebstähle immer wieder vorkämen und er nicht für den Kram der Badegäste verantwortlich sei.
    Patrick ist dadurch auf eine Idee gekommen. »Ich werde ein Patent anmelden: eine Badehose mit wasserdichtem Innentäschchen, das Platz für Personalausweis, Kreditkarte, Führerschein und Bargeld [308] bietet und mit einem Klettverschluss befestigt werden kann.«
    »Na, toll, und der schwere Schlüsselbund passt auch noch hinein. Außerdem gibt es so etwas bestimmt schon längst«, sage ich schlechtgelaunt und gehe ins Haus, um nach dem zweiten Sohn meines Vermieters zu schauen. Patrick hat bei dieser dezenten Andeutung keine Sekunde lang gestutzt, ich muss wohl eine härtere Gangart wählen.
    Doch schon steht Patrick wieder neben mir. »Ich hatte einen Großonkel, der die meisten seiner Erfindungen patentieren ließ. Er war ein ziemlich guter Tennisspieler, zur damaligen Zeit noch ein elitärer Sport. Aber er ärgerte sich darüber, dass die Bälle schon nach kurzer Zeit ausgemustert wurden, und überlegte sich, was man damit anfangen könnte. Also erfand er eine Matratze aus gebrauchten Tennisbällen.«
    »Genial! Wahrscheinlich wurde er Millionär wie Dagobert Duck.«
    »Leider nicht, denn er fand keinen Produzenten.«
    Allmählich reicht mir das Geplänkel. Wortlos gehe ich an Patricks Bücherschrank und ziehe das Album heraus. Hastig blättere ich die Seiten durch, bis ich fündig werde und ihm das bewusste Foto von Lenore unter die Nase halten kann.
    [309] Er lächelt schuldbewusst. »Ist es dir auch aufgefallen? Eine frappierende Ähnlichkeit! Schon als das Bärchen zum ersten Mal in meinem Arm lag, spürte ich tiefe, warme Zärtlichkeit. Es war, als hätte man mir Leno zurückgegeben. Und mit jedem Tag wird Victor ihr ähnlicher.«
    »Ja, ja, die Stimme des Blutes«, sage ich ironisch. »Vielleicht solltest du mal ohne Umschweife zugeben, was es mit dieser Ähnlichkeit auf sich hat.«
    Patrick sieht mich nachdenklich an. »Ich bin mir leider selbst nicht sicher, Anja.«
    »Eine wichtige Sache zu verschweigen ist zwar keine Lüge, aber in einer Beziehung kann es sich verhängnisvoll auswirken. Nun, die Affäre mit Birgit war vor meiner Zeit, ich kann dir daraus keinen Strick drehen. Aber die Folgen…«
    Patrick fällt mir ins Wort: »Wir haben keine Beweise. Es kommen noch zahlreiche andere Männer in Frage.«
    »Mit Gentests habe ich Erfahrung, das kann ich jederzeit in die Wege leiten. Aber in diesem Fall spricht die frappante Ähnlichkeit eine klare Sprache.«
    Er schweigt, grübelt. Es ist ihm alles wahnsinnig peinlich. »Anja«, meint er schließlich, »du bist mir entweder zu lahm
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