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Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer

Titel: Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer
Autoren: Wladimir Kaminer
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weiter. Geruchlos, farblos und geschmacklos sollte er sein. Und niemals weniger als vierzig Umdrehungen (Prozent) haben. Die Intellektuellen tranken gern den Wodka »Russischer Einfall«. Davon gab es zwei Sorten – »Der helle Einfall« und »Der dunkle Einfall«. Die Arbeiter tranken den »Hau rein« und den »Schluckauf«. Mit Lenin kam der merkwürdige dreißigprozentige Bolschewiken-Wodka »Neusegen« auf den Markt. Woraus die Kommunisten ihn brannten, ist nicht genau bekannt. Unter Stalin verlor der Schnaps alle Namen und hieß nur noch bescheiden »Wodka«.
    Die letzten Regierungschefs der Sowjetunion sahen in dem Nationalgetränk eine große Gefahr für die Zukunft des Landes. Nicht der anstrengende, sich hinschleppende Aufbau einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft, sondern der Wodka enthusiasmierte die Sowjetbürger. Die Regierungschefs befürchteten, dass der Wodka als Alternative zum Sozialismus die Ideologie vollends abstürzen lassen könnte. Die neueste Geschichte des Landes zeigt, dass sie Recht hatten. Doch damals, in den Achtzigerjahren, hatte die Spitze der Partei dem Alkoholismus noch den totalen Kampf angesagt. Besonders aktiv in diesem Bereich war der letzte Generalsekretär der Sowjetunion, Gorbatschow. Er ließ unter anderem alle Weintraubenplantagen von Georgien über Moldawien bis in die Ukraine vernichten.
Doch der Wodka hat auch diesen Spuk überlebt und den Sozialismus schließlich untergraben. Mit der Entstehung eines freien Marktes stieg die Anzahl der Brennereien und Wodkasorten ins Unermessliche. Dazu wurden noch alle möglichen ausländischen Wodkaerzeugnisse von der russischen nationalen Küche adoptiert, von »Absolut« bis »Zubrovka«. Viele Neukapitalisten wollten schnelles Geld mit billigen Alkoholprodukten machen. Die damit einhergehenden Vergiftungen belegten in den Neunzigerjahren den ersten Platz in der Unfallstatistik. Die Regierung wollte daraufhin das Hauptprodukt der nationalen Küche wieder verstaatlichen und bekämpfte die Schwarzbrenner mit allen Mitteln. Sie erfand die Akzisemarken, die auf jede Flasche des echten Wodkas geklebt werden sollten, und entwickelte spezielle Verschlüsse und Etiketten mit Wasserzeichen. Aber auch die wurden gefälscht. Eine Zeit lang färbten die staatlichen Betriebe aus purer Verzweiflung ihren Wodka, um auf diese Weise die Echtheit zu garantieren. Aber auch hierbei taten die Fälscher es ihnen schnell nach. Auf dem Höhepunkt dieses Wettkampfes um den Markt änderten die Behörden fast jeden Monat die Wodkafarbe. Der echte Grüne stand neben dem echten Blauen oder Gelben, aber die gefälschten sahen genauso aus – keiner wusste mehr, welcher was war. Irgendwann gab der Staat auf.
    Inzwischen herrscht auf dem Markt ein Preis-LeistungsVerhältnis. Den billigen gesundheitsschädigenden Wodka kann man in Drei-Liter-Flaschen auf dem Schwarzmarkt kaufen. Für die anspruchsvollen Verbraucher werden feinere Sachen teuer angeboten. Wie es sich in der freien Marktwirtschaft gehört, findet sich auf dem russischen Markt für jeden etwas. Es gibt sprechende Wodkaflaschen für Alleintrinker, so wie es im Westen sprechende Teppiche oder Uhren gibt. Eine solche Wodkaflasche beglückt beim Einschenken den Endverbraucher mit einem lustigen Trinkspruch und stößt nach fünfmaligem Kippen die Warnung aus: »Die Flasche ist leer, es muss eine neue besorgt werden.« Auch einen alkoholfreien Wodka namens »Bleib gesund« gibt es inzwischen. Ein Lastwagenfahrer erzählte mir, dass dieser sich gut mit ein paar Bierchen verträgt. Gleichzeitig wird in Russland mit den westlichen Produkten experimentiert. Der gute schwedische »Absolut« ist zum so genannten »Absoluten Absolut« mutiert, der nicht schlechter als das Original schmeckt, aber stärker ist.
    Die vielen bereits existierenden Wodkasorten hindern echte Fans allerdings nicht daran, ständig neue, noch nie da gewesene Wodkas zu kreieren. Ein Bekannter von mir, ein Amerikaner, hatte schon 1996 die Idee, den perfektesten Wodka der Welt zu brennen. Zu diesem Zweck kündigte er bei seiner Zeitung in New York, wo er als Journalist tätig war, nahm sein ganzes Geld und fuhr nach Russland, um dort verschiedene Fabriken zu besuchen und Erfahrungen zu sammeln. Sieben Jahre lang hörte man nichts von ihm. Ich hatte ihn schon als Kollateralschaden der russischen Küche abgeschrieben, als er sich plötzlich wieder meldete. Mit Begeisterung erzählte er von seinem neuen Projekt. Er beabsichtigte, in
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