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Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer

Titel: Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer
Autoren: Wladimir Kaminer
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Zeiten der Konterrevolution erlebte die Ananas eine wahre Renaissance auf den Speisekarten. Sie wurde sogar als moderne Beilage zum Wodka serviert. Der Kaviar blieb dagegen ein Exportschlager, etwas, das man gerne anderen verkauft, aber nicht selber isst.
    In Astrachan, einer Stadt an der Wolga, gibt es einen Schwarzmarkt für Schwarzkaviar, er wird dort sehr preiswert für hundertfünfzig Euro pro Kilo verkauft. Natürlich ist der Verkauf sowie der Erwerb von Kaviar auf dem Markt strafbar, trotzdem finden sich dort täglich Abenteurer zusammen, die ein paar Kilo Kaviar erwerben wollen, um ihn später in Moskau für das Fünffache zu verkaufen. Viele Verkäufer arbeiten in Astrachan aber mit der Polizei zusammen. Wenn sie ihre Ware verkauft haben, geben sie den Polizisten Bescheid, die halten den Wagen an, beschlagnahmen den Kaviar und fordern eine hohe Geldstrafe. Der Kaviar landet dann wenig später wieder bei dem gleichen Verkäufer. Ein Bekannter von mir hatte einmal diese gut funktionierende Geschäftskette durcheinander gebracht, als er den ganzen Kaviar aus Frust sofort aufaß, statt ihn nach Moskau zu transportieren. Die Polizisten wollten ihm einfach nicht glauben, obwohl er wie ein Tintenfisch roch.
    Heute essen die Reichen in Russland zwar keine Ananas mehr, trotzdem bevorzugen sie die ausländische Küche und stellen französische Starköche ein oder lassen sich Mode-Sushi aus Japan mit einem Jet einfliegen. Ein Freund aus alten Zeiten, der als Pokerspieler in der Sowjetunion anfing und es in der neuen Zeit zu einem superreichen Spielkasinobetreiber geschafft hat, erzählte mir neulich, seine dritte Frau füttere ihre Lieblingskatze Albert mit schwarzem Kaviar. Der Kasinobesitzer war nach Deutschland zum Einkaufen gekommen. Er suchte zwei Dinge: einen schicken Rennwagen für sich und ein Katzenhaus für seine Frau. Sein Einkaufstrip war anstrengend. Das Katzenhäuschen für die neureiche Katze war riesengroß und kompliziert gebaut. Es sollte an der Decke montiert werden, die Wände bestanden innen aus lackiertem Holz und waren außen mit Kaninchenfell bezogen, aus dem weiße Wollmäuse an Strippen heraushingen. Kurzum: Das Haus passte nicht ins Auto, und unser Freund war mit seinen Nerven am Ende. Zwischendurch rief ihn auch noch seine Frau aus Moskau an und berichtete ihm Neues vom Appetit ihrer Katze.
»Albert hat heute schon hundert Gramm gegessen«, erzählte sie stolz.
    Gemeinsam haben wir es dann geschafft, das Haus ins Auto zu verfrachten. Später erfuhr ich, dass unsere Bemühungen doch umsonst gewesen waren, denn der mit Schwarzkaviar voll gepumpte Albert passte nicht in das Katzenhaus.
»Auch die Reichen haben Grund zum Weinen«, meinte meine Frau dazu.

Anlage II
Mutters Küche
    Von allen kulinarischen Attraktionen meiner Kindheit ist mir hauptsächlich Cholodez in Erinnerung geblieben, eine Mischung aus Suppe und Fleischgericht, die wie Sülze aussieht, aber unvergleichlich besser schmeckt und – das Wichtigste – aus eigener Kraft, das heißt ganz ohne Gelatine, fest wird. Zu jedem feierlichen Anlass, ob ein lang ersehnter Geburtstag oder ein überraschender Besuch der Verwandtschaft aus Odessa, krönte dieses Gericht unseren festlich gedeckten Familientisch. Obwohl meine Mutter auf der Einzigartigkeit ihres von der Großmutter vererbten Familienrezepts bestand, hatte ich mehrmals dasselbe Cholodez auch bei fremden Leuten auf dem Tisch gesehen. Meine Großmutter musste das Rezept auch dem Rest der Bevölkerung verraten haben.
    Bei den wenigen offiziellen Feiertagen, die unser Land geschlossen feierte, ohne Reue und ohne Rücksicht auf den Tag danach, genoss Cholodez eine herausragende Stellung. Über das Jahr verteilt waren in Russland vier offizielle Feiertage vorgesehen, an denen man nicht zur Arbeit gehen musste: der 7. November, der 31. Dezember, der 8. März und der 1. Mai. An diesen Tagen, so vermute ich, wurde in der Sowjetunion tonnenweise Cholodez gekocht. Eine der wichtigsten Eigenschaften dieser Spezialität war, dass sie mit der Zeit immer besser wurde. Deswegen wurde sie gleich auf Vorrat zubereitet, damit immer genug übrig blieb. Auf diese Weise half Cholodez der Bevölkerung, die freudlosen Perioden zwischen den Feiertagen vom 7. November bis zum 31. Dezember und vom 8. März bis zum 1. Mai zu überbrücken.
    Es gab natürlich auch andere Gerichte in der Sowjetunion, und bestimmt hat man zu den gleichen Feiertagen im Kreml etwas anderes gegessen: Pelmenis mit
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