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Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer

Titel: Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer
Autoren: Wladimir Kaminer
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Kaviarfüllung? In rosa Butter gebratene Amseln? Oder einen besonders festen kommunistischen Partei-Cholodez? Wir wurden allerdings nie eingeladen – und kochten das Cholodez nach dem alten Rezept meiner Großmutter.
    Sie war 1927 aus Odessa nach Moskau gekommen und hatte dort meinen Großvater kennen gelernt, der auch aus Odessa stammte. Meine Großmutter wollte in Moskau studieren, heiratete aber stattdessen den Großvater, bekam zwei Töchter und ließ das Studium sausen. Zwischendurch arbeitete sie als Köchin in einem Cafe. Während des Krieges wurde die Familie nach Samarkand evakuiert, und mein Großvater ging an die Front. In Mittelasien nützten die Kochkünste meiner Großmutter wenig. Es fehlten beinahe alle Zutaten. Jede Familie bekam zweihundert Gramm Brot pro Person am Tag, es gab außerdem Tee aus Mohrrüben und Rosinen statt Zucker. Drei für jeden.
    Nach dem Krieg kehrten die Frauen nach Moskau zurück. Mein Großvater war in der Panzerschlacht von Kursk als Kavallerist gefallen, und so blieb meine Großmutter mit den beiden Töchtern allein. In der Nachkriegszeit, wenn es besonders eng wurde, halfen ihr die alten Rezepte aus Odessa, die Familie zu ernähren. Die Fähigkeit meiner Großmutter, aus dem Nichts etwas Essbares zu zaubern, rief sogar bei den Nachbarn Bewunderung hervor. Nichts schien meiner Großmutter unmöglich zu sein. Sie konnte aus altem Brot eine Torte backen, aus Mohrrüben eine Konfitüre kochen, und aus Zwiebeln, Mehl und Fischköpfen wurde gefilter Fisch. Natürlich wollte meine Großmutter ihre wertvollen Erfahrungen an die nächste Generation weitergeben und forderte ihre Töchter auf, in der Küche mitzumachen.
    »Schau genau hin«, sagte sie zu meiner Mutter, damals ein zwanzigjähriges Mädchen. »Du wirst sehen, es gibt kein schlechtes Essen, es gibt nur unfähige Köche!«
    Meine Mutter wollte aber damals natürlich nicht hinschauen, sie war an den Kocherfahrungen ihrer Mutter überhaupt nicht interessiert. Sie trug ihre Haare kurz, hatte zehnmal im Kino den Film Die Heldentat des Kundschafters gesehen und den Agententhriller Wer sind Sie, Dr. Sorge?, basierend auf einer wahren Geschichte über einen sowjetischen Spion in Nazi-Japan, der verhaftet und schrecklich gequält wurde, seine wahre Identität aber nicht preisgab. Außerdem las meine Mutter jede Nacht französische Abenteuerromane und hatte klare Karrierepläne, die weit weg von der Küche meiner Großmutter lagen. Am liebsten wollte sie im Bereich Abwehr/Spionage irgendwo in Südfrankreich tätig sein, statt irgendwelche Fische zu kochen.
    Später begeisterte sie sich für Ballett und Biochemie, noch später wollte sie Dolmetscherin werden, studierte Maschinenbau und spielte in der Mannschaft ihres Instituts Schach. Erst als sie ihre eigene Familie gegründet hatte und in eine eigene Wohnung gezogen war, wurde sie mit dem Kochen konfrontiert: Mein Vater und ich spielten zwar auch gerne Schach, wollten aber zugleich auch ständig ernährt werden. Und da tauchten plötzlich wie aus dem Nichts die alten Rezepte auf, die wahrscheinlich die ganze Zeit irgendwo im Unterbewusstsein meiner Mutter auf den richtigen Augenblick gewartet hatten. Allen voran das Rezept für Cholodez. Mein Vater und ich waren begeistert, obwohl meine Großmutter bei jedem Besuch darauf hinwies, dass unsere Mutter dabei alles falsch machte. Doch mir schmeckt es bis heute so am besten.
Ich habe das Rezept aufgeschrieben. Cholodez wird folgendermaßen zubereitet:
    Man kauft ein paar untere Extremitäten irgendeines Tieres, am besten sind in Deutschland die so genannten Eisbeine von Schweinen geeignet. Dann werden die Knochen zerhackt, gewaschen und mit wenig Wasser sieben bis acht Stunden auf sehr kleiner Flamme gekocht. Nach vier Stunden werden zwei ungeschälte Zwiebeln dazugegeben, damit das Gericht die richtige goldene Farbe bekommt. Und nach sechs Stunden werden noch Lorbeerblätter und etwas Salz hinzugefügt. Danach muss das Cholodez auf Raumtemperatur abkühlen. Die obere Fettkruste und die Zwiebeln werden dann entfernt und weggeworfen. Die Bouillon wird durch ein Sieb abgegossen, das Fleisch vom Knochen getrennt und zerkleinert. Schließlich werden zwei Knoblauchzehen zerkleinert und zum Fleisch gegeben. Danach wird es auf einem flachen Teller mit Bouillon übergossen. Zuletzt werden noch zwei hart gekochte Eier in Scheiben geschnitten und oben auf dem Cholodez verteilt. Dann stellt man das Ganze über Nacht in den Kühlschrank und
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