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Kryson 04 - Das verlorene Volk

Titel: Kryson 04 - Das verlorene Volk
Autoren: Bernd Rümmelein
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schließlich in Stein verewigt worden. In der Tat glichen sich die steinernen Krieger in Rüstung und Bewaffnung, doch unterschieden sich ihre Gesichter voneinander. Jede Statue war offenbar einem einzigartigen Krieger nachgebildet worden.
    »Hoi, hoi, hoi … meine lieben steinernen Freunde«, rief Tarratar halb singend, während er sich tänzelnd an den Statuen vorbeidrehte und jede von ihnen geradezu liebevoll mit den Fingern streichelte, »wie lange schon seid ihr mir treueund stumme Gefährten gewesen. Leider habt ihr in all den Sonnenwenden unseres Zusammenseins keine meiner Fragen beantwortet. Und doch gabt ihr mir von Zeit zu Zeit das Gefühl, nicht einsam zu sein. Das ist mehr, als ich erwarten durfte. Dafür bin ich Euch dankbar.«
    Die Reihe der Krieger endete vor einem Thron, auf dem eine Frau in prächtig ausgearbeiteten Gewändern saß. Ihr Blick war stolz.
    »Meine Königin!« Tarratar deutete eine tiefe Verbeugung an und zog dabei seine Flickenkappe vom Kopf. »Ich verneige mein Haupt und ziehe meine Kappe vor Eurer Schönheit. So blendend. Ihr seid das wahre Kunstwerk dieses vergessenen Reiches, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.«
    Tarratar richtete sich auf und blickte der Statue geradewegs in die Augen. Leblose, steinerne Augen. Er rang seinen Lippen ein gequältes Lächeln ab und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
    »Ach was«, sagte er, »warum rede ich mit Euch, als würdet Ihr unter den Lebenden weilen. Ihr seid nichts weiter als ein Stück kalter Fels. Tot wie all die anderen Statuen. Die Kojos hatten Euch einst reich beschenkt. Doch sie entzogen Euch ihre Gnade. Die Gabe des Kriegers gehört einem anderen, obwohl sie mehr Bürde als Vergnügen scheint. Ein Krieger – oder sollte ich ihn als einen Sklaven des Krieges bezeichnen? – nennt diese Last nun sein eigen. An seinen Händen klebt viel zu viel Blut, um sich davon jemals wieder reinwaschen zu können. Wie seht Ihr das, meine Königin? Das wahrhaft Böse ist der Krieg. Vom Anbeginn der Zeit an war dies nie anders. Die Mutter allen Übels zeigt sich erst und in ihrer ganzen Pracht, mit all ihren Facetten und hässlichen Fratzen in der Gestalt des Krieges. Ist es nicht so?«
    Er erhielt keine Antwort, zuckte daraufhin gleichgültig mit den Schultern und gähnte lautstark.
    »Hoi, hoi, was bin ich müde«, stellte Tarratar fest. »Seid Ihr etwa die Mutter des Krieges, weil die Kojos Eurem Volk einst die Gabe verliehen?« Tarratar gab sich die Antwort gleich selbst.
    »Nein. Ihr könnt es nicht sein. Denn Ihr seid tot. Der Krieg jedoch lebt und wird stärker denn je über Ell toben. Nicht die Altvorderen, Klan oder Rachuren verändern Kryson. Nicht die Lesvaraq – selbst wenn sie das glauben sollten – und auch nicht die Saijkalrae. Einzig der Krieg verändert unsere Welt. Das ist höchst bedauerlich, sollte es doch die Liebe sein, die unser Leben bestimmt. Gibt es sie noch? Aus Freunden werden Feinde, aus guten Kindern schlechte. Und die Krieger sind die Ärmsten unter den Armen – selbst die mit Stärke und Macht gesegneten. Sie sind zutiefst zu bedauern. Was seht Ihr mich so an? Hegt Ihr Zweifel an meinen Worten?«
    Die Statue regte sich nicht. Natürlich nicht. Tarratar grinste breit.
    »Ihr solltet Mitleid mit ihnen haben. Sie sind die Diener des Bösen. Nicht aus freien Stücken. Sie haben keine andere Wahl. Das Schicksal meint es nicht gut mit ihnen. Niemals! Findet Ihr es nicht eigenartig, wie sehr auch wir uns immer wieder davon treiben und anstecken lassen. Das Leben könnte so schön sein, würde es den Krieg nicht geben.«
    Tarratar schüttelte den Kopf und eigenartigerweise stimmten die Glöckchen an seiner Kappe ein trauriges Lied an. Er wusste, dass ihn die Statue nicht hören konnte. In solchen Momenten wurde ihm die Einsamkeit seiner fortwährenden Wacht schmerzlich bewusst.
    »Bei nächster Gelegenheit sollte ich mich wieder unter die Klan begeben. Die Gesellschaft der Lebenden suchen. Nur für eine Weile, sonst werde ich noch verrückt«, seufzte Tarratar. »Aber zuvor sollte ich die erste Prüfung für den Auserwählten vorbereiten.«
    Er schnalzte mit der Zunge.
    »Ja, das ist eine ausgezeichnete Idee!«
    Pfeifend wandte sich Tarratar von den Statuen ab und seinen Aufzeichnungen zu.
    »Meine Wacht neigt sich dem Ende zu. Ich bin frohen Mutes, dass der Auserwählte die erste Prüfung bestehen wird. Das Rätsel des Blutes und des Mutes …«

Reise in die Vergangenheit
    D ie Augen des Kaptan
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