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Kryson 04 - Das verlorene Volk

Titel: Kryson 04 - Das verlorene Volk
Autoren: Bernd Rümmelein
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Schriftrolle. Er besaß eine schöne, schwungvolle Handschrift.
    »Meine Wacht neigt sich dem Ende zu. Wie viel Zeit ist vergangen, seit ich antrat? Ich habe nicht darauf geachtet, zählte weder Sommer noch Winter. Und doch habe ich die Sonnenwenden kommen und gehen sehen. Jede einzelne. Zu viele. Wer weiß, wie lange ich tatsächlich warten musste? Es scheint mir unendlich zu sein. Aber der Auserwählte ist nah. Ich kann ihn mit jeder Faser meines Geistes spüren. Bald wird er kommen, Ulljans Buch von mir zu fordern. Werde ich ihm geben können, was er begehrt? Wird er der Prüfung gewachsen sein, die ich als Gegenleistung von ihm verlangen muss? Was wird geschehen, wenn er sie nicht besteht? Es widerstrebt mir, daran zu denken. Dann beginnt die Wacht erneut. Das Warten auf den Auserwählten über viele tausend Sonnenwenden.«
    Der Wächter des Buches kratzte sich mit den Fingern unter der Flickenkappe am Kopf, bis die an der bunten Kopfbedeckung befestigten Glöckchen erneut klingelten.
    »Was schreibe ich? Unsinn! Nichts als schwülstiges Gefasel. Was würde ein Schriftgelehrter daraus schließen? Werden meine Worte überhaupt je gelesen werden?« Tarratar schüttelte unter leisem Glöckchengeklingel erregt sein Haupt. »DasBuch! Ich weiß nicht, ob ich es dem Auserwählten überlassen darf. Zum Glück entscheide ich das nicht alleine. Zu gefährlich ist das Wissen, zu viel Schaden könnte er damit anrichten. Was, wenn er entdeckt, wie er die Zeit damit beeinflussen kann?« Das Klingeln der Schellen wurde lauter. »Die Veränderungen wären verheerend, sollte er sich verstricken. Die Geschichte lässt sich nicht in wenigen Worten erzählen. Sie müsste neu geschrieben werden. Wehe uns … So vieles ist ungewiss im steten Kampf um das Gleichgewicht. Werde ich denn je selbst verstehen, welche Bedeutung Kryson für die Zeit, das Leben und die Ewigkeit hat?« Resigniert blickte der Kleinwüchsige himmelwärts. »Ich glaube nicht.«
    Tarratar seufzte erneut und packte seinen Griffel fester: »Was soll’s?«, beschwor er sich selbst und begann seine Erinnerungen niederzuschreiben.
    »Lange bevor das Gleichgewicht der Mächte die ersten Lesvaraq aus dem Land der Tränen nach Kryson schickte, herrschten vier Völker über den Kontinent Ell. Magische Völker. Mächtige Völker. Sie nannten sich die Altvorderen und huldigten den Kojos, die ihnen – aus Dankbarkeit für ihre Gebete – Geschenke machten. Die meisten Geschenke der Kojos waren einzigartig und von unschätzbarem Wert. Andere wiederum scheinbar nutzlos und gefährlich.
    Die Gabe des Kriegers, ein langes Leben, das mehr als eintausend Sonnenwenden währte, die Verbundenheit und Beherrschung der Natur oder die Kunst der Bearbeitung von Felsgestein.
    Im Lauf der Geschichte jedoch drohten die Namen der Altvorderen in Vergessenheit zu geraten.
    Lediglich den Tartyk, dem Volk der Drachenreiter, war es dank ihrer seelischen Verbundenheit mit den Flugdrachen bis vor nicht allzu langer Zeit gelungen, ihre Gebiete gegen Eindringlinge zu verteidigen und ihre alten Stärken zu bewahren.Bis, ja, bis ihnen ein Schicksalsschlag jede Hoffnung nahm. Ein Todsänger brachte sie zu Fall. Es war ein gefährlicher, tödlicher Mann namens Nalkaar. Niemand weiß, woher er seine Macht nimmt, die nicht von dieser Welt stammt. Nicht sterblich und doch nicht lebendig ist dieser Nalkaar. Schrecklicher als der Fluch eines Bluttrinkers ist seine musikalische Gabe für die Opfer, deren Seelen der Seelenfresser mit sich nimmt und die ihm fortan auf Gedeih und Verderb dienen. Sie sind wahrlich für immer verloren. Nicht einmal das Reich der Schatten vergönnt er den Seinen. Ich sehe seine wachsende Stärke mit großer Sorge. Sein Gesang ist wie eine Seuche und er schart mit jedem Tag seines frevlerischen Treibens weitere seelenlose, tote Geschöpfe um sich. Es ist eigenartig. Seine Magie ist einzigartig und dem Gleichgewicht vollkommen fremd. Kein Mittel hilft dagegen. Wo soll das hinführen? Eines Tages wird er womöglich um die Seele eines Lesvaraq singen. Was geschähe, wenn ihm dies gelingen und er obsiegen würde? Das Gleichgewicht geriete aus den Fugen. Und zwar gewaltig, so viel ist sicher. Die Seele des Lesvaraq wäre verloren, gebunden an den Todsänger. Nalkaar würde allmächtig. Aber was will er? Ist er sich seiner Macht bewusst? Oder häuft er seine Macht nur an, um sich aus der Sklaverei Rajurus zu befreien, wagt es jedoch nicht, den entscheidenden Schritt zu gehen? Ich werde
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