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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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schlanken Zypressen gesäumte Zufahrt ein. Er parkte zwischen den Bäumen und ging zur Klosterpforte, die von einer großen Laterne beleuchtet wurde, obwohl es schon zu tagen anfing.
    Ihm blieb nicht einmal Zeit, die Klingel zu drücken. Die Mutter Oberin, Teresa de la Cruz, kam ihm bereits entgegen. |12| Er hatte sie als humorvollen, offenen Menschen kennengelernt, doch jetzt verhielt sie sich ihm gegenüber äußerst reserviert. Sie schien auf einmal ganz in sich zusammengesunken zu sein und wirkte höchst beunruhigt. Ja geradezu erschrocken.
    »Guten Morgen, Ehrwürdige Mutter. Ich wollte Sara Toledano abholen.«
    »Ich weiß … Seine Exzellenz, Erzbischof Presti, hat uns schon benachrichtigt …«, stammelte die Äbtissin. Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Das Problem ist nur … sie ist spurlos verschwunden.«
    Die Nachricht traf ihn wie ein Keulenschlag.
    »Wie? Verschwunden? Sind Sie sich da ganz sicher?«
    »Ja. Wir haben überall nach ihr gesucht: in ihrer Zelle, in der Klosterkirche, im Archiv …« Als sie den verwunderten Gesichtsausdruck des Kommissars sah, hielt sie eine Erklärung für angebracht. »In den letzten Tagen hat sie die ganze Nacht über Akten gewälzt. Sie sagte, sie könne nicht schlafen und sei gerade etwas sehr Wichtigem auf die Spur gekommen.«
    »Diesen Inquisitionsprozeß betreffend, nehme ich an.«
    »Ich fürchte ja. Kommen Sie, hier entlang.«
    Die Oberin führte ihn zu der Zelle, in der Sara während der letzten Wochen geschlafen hatte. Es war ein geräumiges Zimmer, das noch etwas nach frischer Farbe roch, hatte man es doch eilig renovieren lassen, um einen so hohen Gast angemessen beherbergen zu können. Bealfeld sah sich um. Sein Blick blieb an dem Laptop auf dem Tisch hängen, neben dem einige sorgfältig geordnete Schreibmappen lagen. Eine davon fiel ihm besonders ins Auge. Darauf stand in großen roten Lettern: PROZESS GEGEN RAIMUNDO RANDA.
    »Wissen Sie, ob hier etwas fehlt, Ehrwürdige Mutter Oberin? Fällt Ihnen irgendwas auf?«
    »Ich glaube, hier ist alles so wie immer.«
    »Wann haben Sie Sara zum letzten Mal gesehen?«
    »Gestern morgen. Später ist sie dann nicht zum Mittagessen gekommen … Das war ganz normal, wenn sie in der Stadt etwas |13| zu erledigen hatte«, erklärte sie, als sie Bealfelds Stirnrunzeln bemerkte. »Zum Abendessen ist sie allerdings auch nicht erschienen. Und das ist bisher noch nie vorgekommen.«
    »Seltsam … Wenn sie verreisen wollte, hätte sie mir vorher sicher Bescheid gesagt«, murmelte Bealfeld. Es sei denn, sie wollte etwas vor mir geheimhalten, mußte er sich im stillen eingestehen. Dann fragte er laut: »Kann man das Kloster verlassen, ohne daß die Schwester an der Pforte etwas davon mitbekommt?«
    »Ja, durch die Kirche. Während der Morgenmesse steht sie allen Gläubigen offen.«
    »Hat Sara vielleicht irgendeine Nachricht hinterlassen?«
    Die Nonne schüttelte stumm den Kopf. Bealfeld blickte auf seine Armbanduhr. Es nützte alles nichts, er mußte zur Plaza Mayor, Presti erwartete ihn, und mit dem Nuntius war nicht zu spaßen. Eines mußte er allerdings noch wissen, bevor er sich von der Mutter Oberin verabschiedete.
    »Wer weiß noch von ihrem Verschwinden?«
    »Niemand, nur Sie und ich. Jetzt werde ich noch Seine Exzellenz darüber informieren müssen.«
    »Nun, dem Erzbischof werden wir es nicht verheimlichen können. Aber ansonsten bitte ich Sie um äußerste Diskretion. Reden Sie mit niemandem darüber.«
    Alle Zugänge zur Plaza Mayor waren hermetisch abgesperrt. Man hatte außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Als man ihn endlich auf den beeindruckenden Platz ließ, waren die beklemmenden Geräusche, die er durchs Telefon vernommen hatte, zu seiner Überraschung nicht mehr zu hören. Am anderen Ende, nahe der Tribüne für die Ehrengäste, entdeckte er Erzbischof Presti, der gerade den Bürgermeister und den Vertreter des Innenministeriums verabschiedete. Sie ließen einen kleinen Trupp Funktionäre zurück, unter denen Bealfeld Inspektor Gutiérrez ausmachte.
    Der Inspektor war allgemein gefürchtet. Wer den aschblonden, kleinwüchsigen Mann mit der fahlen Gesichtsfarbe kannte |14| , machte normalerweise einen Bogen um ihn, da er die lästige Angewohnheit hatte, alles bis ins unbedeutendste Detail erklären zu wollen. Alles an ihm verleitete zum Gähnen: das gramvolle Gesicht mit den Schlupflidern, den schielenden Augen und den schmalen, blutleeren Lippen, über denen sich zwar nur ein
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