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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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Ich hab’s erst hinterher begriffen …«
    »Keine Ursache, gern geschehen.«
    Wir schwiegen.
    Ich fragte:
    »Wann ist denn die Beerdigung?«
    »Nächste Woche. Montag.«
    »Wo?«
    »In Tal.«
    »In Tal?«
    »Ja, in Tal. Er war gern dort … weil Sie …«
    Sie schluchzte.
    »… weil Sie … Sie waren sein einziger Freund … besonders, wo es ihm so schlecht ging … im letzten Jahr … mit seiner Depression.«
    Ja, ja. Depression. Schulddepression.
    Sagte ich nicht.
    Hatte ich selbst.
    Ich hätt ihn retten können.
    Vielleicht …
    Schweigen.
    Ich sagte:
    »Schad, dass er nicht mehr erleben hat können, wie er Opa wird.«
    Sie weinte.
    Mit ihrem Fünfmonatsbauch.
    Sie wollte was sagen, brachte aber nichts raus.
    Wurde von Tränen erstickt.
    Sie schluchzte:
    »Wenn das Kind da ist …«
    »Ja?«
    »Täten Sie es … taufen?«
    Wenn ich nicht gesessen wäre, wäre ich jetzt umgefallen. Sagte:
    »Mir verschlagt’s die Sprach … Warum grad ich?«
    »Weil mein Vater nicht mehr ist, und Sie … waren sein einziger Freund … Vertrauter … wie ein Bruder, hat er gesagt.«
    Ich sagte: »Ich brauch Bedenkzeit.«
    »Danke.«
    Sie drehte den Zündschlüssel wieder um. »Wo kann ich Sie denn hinfahren?«
    »Zur Illerbrücke.«
    »Was machen S’ denn da?«
    »Runterspringen.«
    »Nein!«
    »Keine Angst. Kleiner Scherz.«
    »Sie und Ihre Scherze!«
    Sie ließ mich da raus, wo ich hatte hinwollen: zur Illerbrücke.
    Um zu tun, was ich vorhatte: runterspringen.
    »Bis Montag dann.«
    »Bis Montag.«
    Der schwarze Audi rollte davon.
    Ich stand auf der Brücke.
    Die Idee mit der Taufe hatte mich umgeworfen. Ich sollte die Taufe des Enkels von Rössle machen. Ausgerechnet ich.
    Gut, dass keiner da war. Und es regnete.
    Dann sah keiner, wie ich heulte.
    Auf Teufel komm raus.
    Ich hatte auch einen Freund verloren. Meinen einzigen.
    Und Bruder. Den ich nie hatte …
    Ich schaute, wo ich springen musste. Damit ich nicht ins Wasser fiel.
    Sondern auf den Beton. Dann ins Wasser.
    Erst auf den Betonvorsprung prallen. Dann ins Wasser rutschen.
    Sicher ist sicher.
    Ich musste den Teufel in mir umbringen. Zerschmettern. Ersäufen.
    Andererseits … vielleicht erst nach der Taufe.
    Eine geschlagene Stunde hielt ich mich am Brückengeländer fest.
    Grübelte im Regen.
    Soll ich, soll ich nicht?
    Von der Illerbrücke oder besser vom Adenauerring?
    Verdammt, ich hatte mich noch nie entscheiden können.
    Story of my life.
    Bis auf die Haut durchnässt schleppte ich mich weiter.
    Zur andern Brücke.
    In meiner Magengegend spürte ich etwas.
    Was ich schon lange nicht mehr gespürt hatte.
    Hunger.
    Hunger!
    Was soll der Hunger da?!
    Wozu brauch ich einen Hunger, wenn ich tot bin?
    Der Hunger machte sich breiter.
    Wie ein Baby, das schnell wächst.
    Ich langte mir an den Bauch.
    Nein, ich war nicht schwanger.
    Ich war hungrig.
    Kommt aufs Gleiche raus.
    Wahrscheinlich war ich auch verrückt.
    Sicher.
    In den grauen Regen hinein sagte ich:
    »Kruzifix … Halleluja!«

Nicola Förg
    FUNKENSONNTAG
    Allgäu Krimi
    ISBN 978-3-86358-032-2
    »Nicola Förg lässt immer
     wieder durchblitzen, dass nicht alles heil ist in der vermeintlich heilen
     Allgäu-Welt der Prospekte. Eine spannende Lektüre, ohne als konstruierte
     Fortsetzung oder Wiederholung des ersten Romans zu wirken.«
    Kreisbote, 10.11.2003

Leseprobe zu Nicola Förg,
FUNKENSONNTAG
:
     
 
 
1.
    »Das ist jedes Jahr einfach ein Höhepunkt, sozusagen ein Jour fixe
im Allgäu«, hörte Jo ihre Assistentin Patrizia »Patti« Lohmaier gerade sagen.
Patrizia lächelte gezwungen und saß stocksteif da. Sie schien in dem engen
Dirndl kaum Luft zu bekommen, und wegen der Quetschwirkung des Mieders fiel ihr
Dekolleté ungleich imposanter aus als sie es vermutlich geplant hatte. Dabei
hasste Patrizia Dirndl mehr als Fußpilz. Dieses Dekolleté war offenbar das
Einzige, was die anwesenden Herren noch bei Laune hielt.
    Nachdem Jo den Gastraum des Rössle betreten hatte, war das Erste,
was sie wahrnahm, Patrizias flehentlicher Gesichtsausdruck gewesen. Panik
flackerte in ihren Augen, ihr Körper war verspannt. Jo erfasste die Szene mit
einem Blick. Eine Wolke aus Agonie und Aggression schwebte über dem Tisch. Und
die Besatzung just dieses Tisches sollte Patrizia bei Laune halten. Jo sah sich
die Leute genauer an. Sie hatte Erfahrung mit Reisejournalisten und dieser
Haufen verhieß nichts Gutes.
    Dabei hatte sie den Eckartser Gasthof, die »Alp«, mit Bedacht für
die Medienleute ausgewählt.
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