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Kronhardt

Titel: Kronhardt
Autoren: Ralph Dohrmann
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saß Willem einfach da und trank Leitungswasser.
    Cola, dieser mächtig große Stoff, brachte seltsame Bilder in ihm hervor. Er konnte dann seine Mutter sehen und Kronhardt, wie sie vor der Fernsehtruhe saßen und voller Abscheu auf eine kleine Polarhündin starrten. Die Hündin hieß Laika und saß in einer Raumkapsel, auf die die Buchstaben CCCP gemalt waren, und es wurde vom Sputnikschock geredet. Von der bolschewistischen Fratze, die den Krieg in den Weltraum hochkoche, von einer roten Giftpilzwolke, die nach der Freiheit und allem Guten schnappe, und die Mutter und Kronhardt verkrampften sich vor der Fernsehtruhe, als würde die Polarhündin ihnen jederzeit an die Kehlen springen.
    So hielten sie sich an ihren Colagläsern fest; sie saßen in Angst, sie trieben das Getränk gegen die verschnürten Kehlen, und Deutschland, sagten sie, liege geschändet da – ein Tuch über den Kämpfern und dem gefallenen Reich, alle Kraft und Herrlichkeit gelähmt, und in der Fernsehtruhe hockte diese Laika und bleckte ihre Zähne. Was für eine Erniedrigung, was für eine Trauer; schöne und stolze Germania, deine Reinheit besudelt, Krone und Schwert zerbrochen, und wenn es noch Hoffnung geben konnte, dann aus Amerika. Und was war diese Hoffnung zuletzt anderes als die Heimholung verloren geglaubter Kinder – nichtwahr, auch Germania hatte Amerikas Kinder gesäugt, und das Blut aus dieser Milch würde immer deutsch bleiben, und so saßen die Mutter und Kronhardt, tranken Cola, glaubten an verwurzelte Kraft und ein Licht hinter dem Dunkelrot des Himmels. Und keine Frage, daß sie im Grunde auch diese Invasoren mochten, diese im Grunde germanischen Gesichter mit dem entschlossenen Ausdruck und den integren Zahnreihen; nichtwahr, die offen dargebotenen Handflächen, die Gleichzeitigkeit von Spannung und Lässigkeit, diese ganze gottverdammte Körpersprache, die signalisierte, daß man mit ihnen rechnen mußte – und keine Frage: auch die Cola, die über die springenden Kehlköpfe lief wie Maschinenöl.
    Die größte Hoffnung aber gaben ihnen diese amerikanischen Fäuste, aus denen die Daumen himmelwärts zeigten. Und so ging auch ihr Blick in den Himmel der Fernsehtruhe und verklärte sich, als würde dort ein Heiligenschein entstehen, und Hand in Hand saßen die Mutter und Kronhardt da, lauschten der Stimme wie einer Vergötterung – ten-nine-eight –, und als sich nach unendlich bangen Sekunden die Jupiter-Rakete in Feuer und Rauch hüllte, als der Treibstoff sich in Kraft und Herrlichkeit verwandelte und die Bilder in der Fernsehtruhe wackelten – ach was, als die ganze Welt wackelte und erleben konnte, wie die Schubkraft das Sternenbanner gegen den blauen Himmel und die roten Eingeweide trieb, da hielten sie sich ganz fest, die Mutter und Kronhardt, und da standen Tränen in ihren Augen, eine Manifestation von neuem Glauben, neuer Freiheit und neuer Macht, und die Tränen waren wunderbare Schöpfungen, die zeitgleich aus Millionen aufrechter Herzen strömten und den Aufstieg der Rakete in biblische Schönheit verwandelten – weiß Gott, eine mächtige Potenzierung aus einer wäßrigen, schwach salzigen Lösung, und so saßen die Mutter und Kronhardt Hand in Hand vor der Truhe. Zitterten und trieben Amerika in den Himmel – auf, auf ins lichte Blau und hinein ins tiefrote Herz der Sputniks; auf, Germania, von der gebrochenen Jungfer zu neuer Krönung, und so stieg auch der Klang der Colagläser.
    Sobald jedoch wieder Bilder der Russen aus der Truhe kamen, verkrampften sie. Allein die spitzen Ohren von Laika, ihre weiße Schnauze oder die inselartige Blesse auf dem Kopf schienen alle Angst in ihnen zu schüren; ihre Stimmen verwandelten sich in Abscheu, und als dann die neuen Schockbilder aus der Fernsehtruhe liefen und Major Gagarin der Welt zuwinkte, da verwandelten sich auch die Stimmen der Berichterstatter in Abscheu. Major Gagarin klang ausgespuckt und wie ein Fremdkörper, und auch aus der Mutter und Kronhardt klang dieser Name so, und bald schon konnte Willem hören, daß sie auch den Namen seines Vaters auf diese Art aussprachen: Richard Kronhardt, ausgespuckt und wie ein Fremdkörper, und Willem entschied, die Russen zu seinen Freunden zu machen.
    Nachts beobachtete er heimlich den Himmel und stellte sich vor, wie der Major um die Erde flog und lächelte. Und wie
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