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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht
Autoren: Willi Faehrmann
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Nagel und fragte: »Schön, so ein Mixer, nicht wahr, Frau Bienmann?«
    »Ja, ja«, lachte Vater. »Meine Mutter sagt auch, die Frauen haben es doch viel leichter heutzutage.«
    Mutter erzählte Frau Nagel den Grund des neuerlichen Lachanfalls. Das Appartementhaus hatte sieben Stockwerke und einundzwanzig Mieter. Es heißt, Frau Bienmanns Eierlikör habe es zum ersten Male geschafft, dass die Mieter alle miteinander lachten und redeten.

Die Hilfe der Gymnasiasten bei den Hausarbeiten der Lützmannstraßenkinder ließ sich gut an. Robos’ Keller war geräumig und warm. Die Tischtennisplatte, die bislang dort aufgebaut gewesen war, stand zusammengeklappt an der Wand. Herr Robos hatte aus dem Schulkeller zehn Schulbänke von anno dazumal in seinen Keller geschafft und ebenfalls eine große Standtafel. Sechzehn Mädchen und Jungen fanden sich ziemlich regelmäßig ein. Frau Robos kam gegen halb fünf jedes Mal herunter und hatte irgendetwas für die Kinder: ein paar Flaschen Saft, ein Tablett leckerer Brote, einen Korb Äpfel gelegentlich.
    Herr Robos selber war als Leiter einer großen, schwierigen Schule ein viel beschäftigter Mann. Dennoch ließ auch er sich dann und wann blicken, schaute an, was die Kinder für Schulaufgaben zu machen hatten, gab in schwierigen Fällen einen Rat und notierte sich gelegentlich etwas in seinen Kalender.
    Einmal setzte er sich zu Waclaw, der eineinhalb Stunden fleißig gearbeitet hatte und immer noch nicht fertig geworden war. Er prüfte, welche Hausaufgaben der Junge aufbekommen hatte, und sagte zu ihm: »Waclaw, du musst jetzt aufhören. Dein Lehrer hat sich bestimmt vertan. Ich schreibe dir etwas unter deine Arbeit.« Mit einem Rotstift kritzelte er: »Nach eineinhalbstündiger emsiger Arbeit riet ich dem Jungen aufzuhören. Es muss ein Irrtum vorliegen. Robos, Rektor.«
    John gab er den Tipp mit den Kindern nicht nur zu pauken. »Ein Lied, ein Spiel, eine Geschichte, ein paar Witze, die wirken oft Wunder«, sagte er.
    »Witze?«, fragte John verständnislos.
    »Aber ja. Was machen Sie zum Beispiel, wenn Sie einen guten Witz hören?«
    »Jedenfalls weitererzählen.«
    »Eben. Und Witze lassen sich schlecht übersetzen. Deutsche Witze werden vermutlich auch in Deutsch weitererzählt.«
    »Sprachkurs durch Witze«, lachte John.
    »Gar nicht übel. Müsste nur mal jemand systematisch aufbereiten«, brummte Herr Robos.
    »Merkt man eigentlich Fortschritte, seit wir hier wirken?«, wollte John wissen.
    »Nach vierzehn Tagen? Das wäre wohl zu viel erwartet. Aber eins ist sicher. Die Kinder bekommen ein Lob für ihre richtigen, sauberen Hausarbeiten. Oft ist es das erste Lob, das sie in der Schule überhaupt erhalten haben. Und es ist eben so, ein Tropfen Honig lockt mehr Fliegen an als ein ganzes Fass Essig.«
    »Ich meine«, sagte Kristina, »die Lehrer müssten sich gerade für diese Kinder mehr einsetzen.«
    »Die Lehrer, Kristina«, antwortete Robos, »die gibt es nicht. Da ist Frau Hückelhoff an meiner Schule, die schuftet sich ab, geht jedem Kind nach, oft genug bis in die Lützmannstraße. Der kommt’s nicht darauf an, wie viele Stunden sie in der Woche arbeitet. Der kommt’s darauf an, dass die Kinder, die in der Lützmannstraße aufwachsen, nicht auch in irgendeiner Lützmannstraße landen.
    Und da ist der Schreyer, der tut seinen Job. 12.55 Uhr steigt der in seinen Wagen, hat Feierabend. Der schielt nach einer bequemen Schule. Dem ist die Lützmannstraße lästig. Und irgendwo zwischen Hückelhoff und Schreyer bewegt sich das, was Sie die Lehrer nennen.«
    »Ihre Lehrer kennen die hohen Nummern der Lützmannstraße«, sagte John, »da wo die Schmuddelkinder wohnen!«
    »Klar. Das ist ja unser Dauerproblem.«
    Kristina entgegnete heftig: »Und unsere Kinder werden dabei übersehen. Und rutschen dann leicht die paar Nummern aufwärts.«
    »Daran ist was.« Robos blätterte in seinem Kalender. »Sie müssten einmal in unsere Konferenz kommen. Sie und die Helfergruppe.«
    »In die Lehrerkonferenz?«, fragte John.
    »Ja. Kristina berichtet dann vom Aussiedlerproblem. Sie, John, erzählen, was Sie hier im Keller für ein Bild vom Lehrer gewonnen haben.«
    »Meinen Sie?«
    »Meine ich. Ich werde mit dem Lehrerrat reden.«
    »Jakob, Telefon!«, rief Frau Robos in den Keller.
    »Ja, ja. Ich komme.« Er sprang die Stufen hinauf, drehte sich halb und sagte: »Halten Sie sich den 18. frei, wenn es geht.«
    Kristina konnte sich an den Freitagnachmittagen nur schwer entschließen zu
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