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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht
Autoren: Willi Faehrmann
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ich die Fesseln zerreißen? Nein. Ich will sehen, wie viel sie aushalten. Einmal wird sie beginnen sie abzuschneiden. Ich werde das durchhalten.
    Ich habe in den Spiegel geschaut. Ich erkannte in meinen Augen jene gespannte Wachsamkeit, die ich in schwierigen Geschäftsverhandlungen bei ihr gesehen hatte.

John freute sich mit Kristina, als ob er selber der Sieger sei. Endlich hatten sich auch Großmutter, die Eltern und Janec gegen den Strom der Hinausgehenden zu ihr nach vorn durchgekämpft. Großmutter hatte rosige Backen und glänzende Augen vor Begeisterung und Janec fasste Kristina, hob sie vom Boden und drehte sich mit ihr zwei-, dreimal schnell rund, dass ihr ganz schwindlig wurde.
    »Jetzt wird gefeiert!«, flüsterte Vater ihr ins Ohr. »Wir fahren alle zu mir. Mutter braut Eierlikör.«
    »Wenn Sie wollen, kommen Sie mit«, lud Mutter John ein.
    »Meine Eltern konnten heute nicht herkommen. Vater wird im Krankenhaus gebraucht. Vielleicht sollte ich wirklich?«
    »Aber ja.« Irgendwie fasste Vaters Auto sie alle. Wolf, der während des ganzen Konzerts auf dem Rücksitz des Autos geschlafen hatte, war gleich auf seinen Platz vor dem Rückfenster gesprungen.
    »Meine Mutter macht Eierlikör. Das soll etwas ganz Besonderes sein«, verriet Kristina.
    »Und ob«, bestätigte Großmutter. »Je frischer er ist, umso leckerer.«
    Sie fuhren mit dem Aufzug ins fünfte Stockwerk des Appartementhauses. In einer Schüssel auf dem Schrank in der Küche lagen zwanzig Eier; kleine Töpfchen und Tüten mit allerlei Gewürzen und eine braune Apothekerflasche mit reinem Alkohol standen bereit.
    »Und zu schlagen brauche ich die Dotter nicht«, sagte Mutter und band sich die Schürze um. »Frau Nagel, die über uns wohnt, hat mir ihr Mixgerät angeboten. In einer Minute sind die Dotter schaumig. Kommt, helft mit, die Eier aufschlagen. Das Eiweiß in diesen Topf, das Eigelb in den Glastrichter des Mixers.«
    Die Küche war viel zu klein, aber irgendwie passten alle hinein. Zwanzig Eigelb sind mit vielen Händen schnell vom Eiweiß getrennt.
    »Ich will sehen, wie der Mixer das schafft«, rief Vater. »Früher musstest du eine halbe Stunde die Eidotter schlagen.«
    »Von mir aus schau zu.« Die Männer steckten die Köpfe durch das Türloch und Kristina und Großmutter traten einen Schritt zurück.
    »Ich drücke den Plastikdeckel auf den Trichter. Den Schalter drehe ich auf eins. Das ist schnell genug. Genau eine Minute. Janec, schau auf die Uhr.«
    Der Mixer summte und das Eigelb schäumte auf.
    »Fabelhaft«, staunte Großmutter. »Die Frauen haben es doch leichter heutzutage.«
    Janec gab die Zeit an: »Noch fünfzehn Sekunden.«
    Mutter entkorkte die Alkoholflasche.
    »Noch fünf, vier, drei, zwei, eine Sekunde . . . aus.«
    Mutter zog den Plastikdeckel des Mixers vom Glas, ein Griff nach der Alkoholflasche, doch zum Schütten kam sie erst gar nicht mehr. Das Eigelb, von der Kraft des Mixers wild gequirlt und der Begrenzung nach oben entledigt, bildete einen gelb schäumenden Hohltrichter, der im Zeitlupentempo bis unter die Decke wuchs, sich dort brach und nach allen Seiten hin versprühte.
    Mutter drehte die Maschine ab. Eigelb troff aus ihrem Haar. Großmutter und Kristina waren gelb eingesaut, die Männer hatten eine dottergelbe Haut. Von der Lampe tropfte es in langen Fäden, die Kacheln, die Kessel, die Kannen, alles glänzte und klebte.
    »Mist«, sagte Janec in die Stille hinein.
    Wolf, der sich rechtzeitig vor dem Heulton des Mixers unter den Tisch verkrochen hatte, war vom gelben Sprühregen verschont geblieben. Er begann begierig das Eigelb vom Boden zu lecken.
    »Mein schönes Kleid.«
    Kristina war den Tränen nahe.
    Da plötzlich begann Vater zu lachen, unbändig, ansteckend, er kam ganz außer Atem. Schließlich lachten alle, schauten sich im Spiegel an, tupften mit den Fingern in die Eierbrühe und freuten sich an den Fäden.
    »Deinen Likör, Rosa, hätten wir bald vergessen«, stieß Vater hervor. »Das aber, Frauchen, werden wir niemals vergessen.« Großmutter hustete stark. Als sie wieder zu Atem gekommen war, sagte sie: »In die Badewanne mit den Kleidern und dann ans Werk.«
    Notdürftig in Mutters Kleider und Kittel gehüllt, arbeiteten sie volle zwei Stunden, bis Gesichter, Decke, Wände, Kessel, Schalter, Böden und Kleider wieder sauber waren.
    »Da, Janec«, sagte Vater schließlich, »da hast du einen Zwanzigmarkschein. Lauf in den Laden und hol eine Flasche Eierlikör.«
    Später schellte Frau
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