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Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter

Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter
Autoren: Karlheinz Deschner
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über Tierheilkunde genannt. Aus verschiedenen Gruppen Mitteldeutschlands und anderer elbgermanischer Stämme zusammengewachsen, waren sie bald das weitaus stärkste Volk zwischen Elbe und Rhein; das einzige dort mit einem erblichen, im späteren 5. Jahrhundert von König Bisin begründeten Königtum, auch eines der wenigen germanischen Königreiche außerhalb der römischen Einflußsphäre. Thüringen, dessen Blütezeit damals begann, reichte von der mittleren Elbe, der Ohre, dem Harz über den Obermain bis zur Donaugegend bei Regensburg (um 480 plünderte man Passau) und von der Tauber bis zum Böhmerwald; die Residenz war vielleicht Weimar. Als König Bisin vor 510 starb, wurde sein Reich unter seine Söhne Hermenefred (verheiratet mit Amalaberga, einer Nichte des Ostgotenkönigs Theoderich), Baderich und Berthachar geteilt. Und seit 510 gehörte Thüringen dem westgotischen Militärpakt, dem antifränkischen Bündnissystem Theoderichs an, das aber nach dessen Tod 526 rasch zerfiel.
    Theuderich I., längst von Expansionsgelüsten besessen, hatte bereits nach 515, gelockt wahrscheinlich durch interne Machtkämpfe, einen Vorstoß auf das mächtige Land unternommen, der allerdings mißlang. Einen zweiten Angriff wagte er erst einige Jahre nach Theoderichs Tod, 529, wobei Teilkönig Berthachar in der Schlacht umkam. Seine Kinder, darunter Radegunde, verschleppte man 531 ins Frankenreich, als Theuderich Thüringen erneut überfiel, gemeinsam mit Sohn Theudebert, Bruder Chlotar (auf den Theuderich noch in Thüringen einen mißglückten Mordanschlag machte) und sehr wahrscheinlich mit den Sachsen, die von der Nordseeküste südwärts drängten. (Die christlich inspirierten Quellen des Merowingerreichs schweigen allerdings über eine sächsische Beteiligung, vermutlich um nicht zugeben zu müssen, man habe nur mit Hilfe eines nichtfränkischen, ja heidnischen Stammes gesiegt.)
    An der Unstrut fielen 531 so viele Thüringer, »daß das Bett des Flusses von der Masse der Leichname zugedämmt wurde, und die Franken über sie, wie über eine Brücke, auf das jenseitige Ufer zogen« (Gregor von Tours). Die Invasoren haben Thüringen furchtbar verheert, ausgeraubt, die Königsburg, deren genaue Lage nur zu vermuten ist, erstürmt und verbrannt. Hermenefred, der seinerseits schon, teilweise mit fränkischer Hilfe, die nächsten Verwandten im Machtkampf blutig ausgeschaltet, wurde tributpflichtig gemacht, 534 aus unwegsamen Landesteilen auf Ehrenwort, Zusicherung von Leib und Leben, in die Eifel nach Zülpich gelockt, mit Geschenken überhäuft – und während eines Gesprächs mit Theuderich von der Stadtmauer gestürzt. Jetzt gehörte Thüringen großenteils dem Mörder. Chlotar hatte nur einen Beuteanteil, Sachsen gegen einen Tribut Nordthüringen erhalten. Viele Thüringer waren geflohen, teils in die ostgotische Interessensphäre, teils zu den Langobarden nach Mähren. Ostgoten und Langobarden, beide Verbündete Thüringens, hatten dies preisgegeben. 17
    Nur die schöne Prinzessin Radegunde überlebte das ausgemerzte thüringische Königshaus. Als Tochter des früh beseitigten Berthachar hatte sie am Hofe ihres Onkels Hermenefred geweilt, bis sie Chlothar in seine Pfalz Athies bei Saint-Quentin geschleppt. Fast wäre ein Krieg zwischen den beiden Frankenfürsten um die junge Königstochter entbrannt, zumal deren Besitz den Anspruch auf das Thüringerreich legalisierte. Theuderich machte einen Anschlag auf Chlotar, den (ungerechnet die Nebenfrauen) sechsmal Verheirateten, der dann Radegunde ins Kloster fliehen ließ, wenn er sie nicht gar verstieß, nachdem er noch ihren Bruder, vielleicht Blutrache fürchtend, ermordet hatte.
    Vor Poitiers gründete Radegunde das Kloster zum hl. Kreuz. Und hier soll sie, nur im Gedenken an ihre Heimat, ihre Toten, als Asketin gelebt haben – mit den Worten ihres etwa zwanzig Jahre jüngeren Sekretärs und »Seelenfreundes« Venantius Fortunatus, des nachmaligen Bischofs von Poitiers, des ebenso (auch von ihr) verwöhnten wie versierten Gelegenheitsbedichters fränkischer Großer, der immer wieder ihre »dulcedo«, ihre Liebenswürdigkeit, preist: »Ich sah sie Frauen in die Knechtschaft schleppen, die Hände gebunden, mit fliegenden Haaren, den nackten Fuß im Blut ihres Gatten oder tretend auf des Bruders Leiche. Alle weinten, ich weinte für alle ... Wenn der Wind rauscht, lausche ich, ob nicht der Schatten eines der Meinigen mir erscheine. Eine Welt trennt mich von denen, die ich liebte.
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