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Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter

Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter
Autoren: Karlheinz Deschner
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doch auch das fränkische Heer, sogar die Pilger in den Wallfahrtsorten befriedigten, etwa die bei Saint-Martin in Tours, wenn es (nicht nur) damals in den Klöstern viele »schmutzige Unzuchtsfälle« gab, einschließlich von Sodomiten unter den Mönchen. (Vgl. auch S. 314) – Wie anders sah es in dieser Hinsicht bei den heidnischen Germanen aus.
    Dabei war Karl, »der Vater der Kirche«, wie ihn Theodulf von Orléans schon Anno 800 nennt, auch persönlich ein eifriger Christ, ein praktizierender Katholik, der angeblich streng die kirchlichen Fasten hielt, auf seinen Reisen allerorten regelmäßig zuerst in die Kirche ging, ja täglich der Messe beiwohnte. Die Aachener Marienkirche besuchte er mehrmals täglich, sogar nachts. Er ließ sich gerne aus Augustins »De civitate Dei« vorlesen. Er besaß ein umfangreiches Reliquienarsenal. Als Talisman trug er in einem Medaillon »im Leben und auch im Tode« (natürlich unechte) Haare der Muttergottes. Aachens Basilika füllte er mit (vermeintlichen) Reliquien von Aposteln, Märtyrern, Bekennern, Jungfrauen, zum Schutz des Reiches und Nachlaß der Sünden. Auch unter seinen Steinthron dort konnten Reliquien geschoben werden, und noch in sein Grab kam ein Reliquiar.
    Aachen selber wurde im 12. Jahrhundert als »sacra civitas« bezeichnet und überhaupt, in Deutschland wohl am meisten von Legenden umrahmt, zu einer »mythischen Stadt«, einer »Art Nationalheiligtum« (Meuthen), zu einem hochbedeutenden Wallfahrtsort, nicht zuletzt wegen des hl. Karl. Er wurde von der Kirche über die Maßen gefeiert, galt als »rex et sacerdos«, als Priesterkönig, als »mit dem Namen Christi gezeichnet«, sein Reich als »Corpus christianum«, »imperium christianum«, ja, für die »Libri Carolini« ist Christus selber »unser König« (noster rex), »unser Kaiser« (noster imperator). »Christ ist Sieger, Christ ist König, Christ ist Kaiser«, lautete der Refrain der Laudes, der Litaneien, die man Ende des 8. Jahrhunderts im Frankenreich an hohen kirchlichen Feiertagen in Gegenwart des Königs sang. Und in Rom gedachte man seiner in Meßgebeten und beugte in der Liturgie der Fastenzeit am Samstag auf Anordnung Papst Hadrians I. das Knie bei Nennung seines Namens. Die Synode von Mainz 813 preist ihn als »den frommen Leiter der Kirche«, der Mönch Notker von Sankt Gallen (gest. 912) als »Bischof der Bischöfe«, ja »nicht dem Wort, aber der Sache nach – als Abbild Gottes« (Löwe). Erzbischof Odilbert von Mailand als »vom heiligen Geiste erleuchtet«. 50
    Nicht genug. Nachdem man schließlich von Krankenheilungen und Wundern an Karls Grab zu berichten wußte, sprach ihn 1165 Papst Paschalis III., Gegenpapst Alexanders III., auf Betreiben Kaiser Friedrichs I. und dessen Kanzler Rainald von Dassel, heilig. Zur Kanonisierung führte Barbarossa Karls Verdienste für Kirche und Glauben an: Durch seine Bekehrung der Barbaren wurde er ein »wirklicher Apostel« (verus apostolus), und sein Mühen machten ihn zum »Märtyrer« (eum martyrem fecit), und ein Armknochen des hl. Karl wurde als Reliquie in einem kostbaren Schrein aufbewahrt. Papst Gregor IX. bestätigte die Kanonisation, spätere Päpste erklärten sie nicht für ungültig, gestanden vielmehr einzelnen Kirchen die Verehrung Kaiser Karls als eines Heiligen zu. In spätmittelalterlichen Gebetbüchern erscheint er mit einem eigenen Gebet. In Aachen wurde er Stadtpatron, als welchen man ihn noch im 17. Jahrhundert verehrte. Noch 1899 schreibt der damalige Domkapitular Adolf Bertram, in seiner Geschichte des Bistums Hildesheim, daß dieses Karl »den Großen« »als seinen ersten Stifter und als Heiligen hoch verehrt«. 51
    Eine Untersuchung aus dem Jahr 1967 zählt nicht weniger als 109 »Kultstätten des hl. Karl« auf; darunter Aachen (wo man noch heute den Todestag Karls, 28. Januar – an dem ich als Kind noch meinen Namenstag beging –, im Münster feiert), Bremen, Brüssel, Dortmund, Frankfurt (»einer der Hauptorte der Karlsverehrung«: Kötzsche), Fulda, Halle, Ingelheim, Köln, Konstanz, Lüttich, Mainz, Minden, Münster, Nürnberg, Regensburg, Straßburg, Trier, Wien, Würzburg, Zürich. Bemerkenswert auch, daß Karl im gesamten sächsischen Gebiet kultische Verehrung genoß. 52
    Jahrhundertelang galt Karl »der Große« als Idealbild des Herrschers, und für viele, viel zu viele ist er es noch heute.
    Voltaire und Gibbon hatten seine Barbarei gebrandmarkt und ihm persönliche Größe abgesprochen. Ranke aber fand ihn
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