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'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

Titel: 'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'
Autoren: Jess Jochimsen
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des Tierparks anstanden, »und merk dir das gut: Wenn dich der Mann am Ticketschalter fragt, wie alt du bist, dann sagst du, du bist fünf, ja?«
    Tante Gundel bezahlte den Eintritt, der Mann am Schalter fragte Tom nicht nach seinem Alter, also musste Tom auch nicht antworten. Glück gehabt, dachte ich, denn ich bin mir sicher, Tom hätte »sechs« gesagt. Weil er stolz war, sechs zu sein, außerdemkönnen Kinder nicht lügen. Das weiß jeder, das wissen auch Tierparkeintrittskartenverkäufer, aber dieser war einfach nett, glaube ich, und wollte Tom die Pein des Flunkerns ersparen.
    Tante Gundel freute sich auf jeden Fall über den gelungenen Coup und spendierte Tom zur Belohnung ein Eis.
    So läuft das. Und das schöne Sprichwort »Kindermund tut Wahrheit kund« bröckelte, wankte – allein, gefallen ist es nicht.
    Tante Gundel machte nämlich den verhängnisvollen Fehler, Tom auf einer Bank am Löwengehege auf ihren Schoß zu bitten, ihn an ihren imposanten Busen zu drücken und leicht spuckefädenziehend die Frage zu stellen:
    »Hast du denn die Gundel lieb?«
    Tom sagte wahrheitsgemäß: »Nein.«
    Tante Gundel gab ihm eine zweite Chance und tat, als sei sie schwerhörig:
    »Wie bitte?«
    Also sprach Tom lauter.
    »NEIN!«
    »Aber Tom«, sagte Tante Gundel mit gespieltem Lächeln, »so was sagt man doch nicht.«
    Gedacht aber hat sie definitiv: »Verzogener Saubengel, von mir erbst du keinen Cent!«
    Auch ich sagte mit gespielter Strenge:
    »So was sagt man wirklich nicht, Tom!«
    Und dachte: »Yeah! Das ist mein Sohn! Scheiß aufs Erbe!«
    Bei den Affenkäfigen redete ich ihm dann allerdings doch noch ins Gewissen:
    »Tom, so unhöflich darfst du wirklich nicht sein.«
    »Wenn’s doch stimmt.«
    »Ja«, wand ich mich, »aber, Tom, man sagt das ... nicht so direkt.«
    Am Ausgang des Tierparks ging Tom dann schnurstracks zum Ticketschalter, und ich hörte noch, wie er meinte:
    »Ich wollte nur sagen, ich bin ... nicht so direkt fünf.«
    Tante Gundel reiste noch am selben Tag ab. Und ich war sehr stolz.
    Ob sich Gundel noch an diese Begebenheit erinnert, werden wir bei ihrem jetzt anstehenden Besuch sehen. Ich allerdings weiß, dass mich die Sache noch lange beschäftigt hat, obwohl sie letztlich banal und wohl allen Eltern in der einen oder anderen Form bekannt ist. Trotzdem: Das Sprichwort kommt nicht von irgendwoher. Kinder lügen nicht – sie lernen es, im Elternhaus, im Kindergarten, in der Schule.
    »So was macht man nicht«, wurde auch mir, als ich klein war, immer wieder und deutlich zu verstehen gegeben.
    Wie auch immer. Ich wurde ein guter Schüler, und irgendwann in der Pubertät konnte ich dann flunkern,dass sich die Balken bogen; ich kam ganz gut durch damit. Die Einzigen, die meine Lügen immer durchschauten, waren meine Eltern. Folgende drei Sätze, zum Beispiel, haben nie funktioniert:
    1) »Das war vorher schon kaputt.«
    2) »Ich übernachte bei ‘nem Kumpel, Mutter.«
    3) »Das sind echt nur so Pflanzen, Papa.«
    Meine Eltern durchschauen mich übrigens bis heute, sie sind, was mich betrifft, lebendige und unfehlbare Lügendetektoren.
    Hoffentlich bin ich das auch mal, wenn Tom »ausgelernt« hat.

Die Schatzinsel
    In unserer Straße wird gebaut. Genauer gesagt: In Bälde wird da ein Haus hochgezogen werden. Bislang ist da einfach ein großes, tiefes Loch. Der zukünftige Keller unserer zukünftigen Nachbarn.
    Für meinen Sohn Tom und seine Freunde ist es jedoch Die Schatzinsel . Was völlig logisch ist, schließlich kann man in dem Loch herrlich graben und ab und an sammelt sich dort Regenwasser, Meer ist also auch da – und die Geschichte vom jungen Jim Hawkins und dem Piraten Long John Silver kennen die Jungs eh in- und auswendig.
    Anfangs war das ein sehr harmonisches Kinderspiel, denn alle wollten Long John Silver sein. Also trugen alle einen langen Mantel, ein Kopftuch und hatten nur ein Bein sowie eine Baulatte als Krücke. So humpelten sie friedlich in der Baugrube rum, tranken Apfelsaft-Brandy und suchten nach einem Phantasieschatz. So weit, so gut. Ein bisschen kreativer könntedas Ganze sein, dachte ich, aber ehrlich gesagt habe ich mich auch nicht mehr so richtig gekümmert.
    Ich wurde noch nicht mal stutzig, als Tom sagte: »Wir spielen jetzt schon besser Schatzinsel, Papa. Wir haben nur noch vier John Silvers, weil ich bin jetzt Jim Hawkins und Felix ist der Schiffsarzt.«
    Geht doch mit der Kreativität, dachte ich, wobei ich, als ich klein war, ebenfalls Jim am liebsten
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