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Kreuzzug

Kreuzzug

Titel: Kreuzzug
Autoren: Marc Ritter
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herrliche Schwarzweißaufnahmen geschossen, die sich auch für großformatige Abdrucke eigneten. Niemand sonst stieg im Winter auf den karstigen Gipfel, der sich zum Skifahren nicht eignete. Das war sein Ehrgeiz: nicht nur das Naheliegende abliefern, sondern Aufnahmen von Bergen machen, die man nicht ganz selbstverständlich auf der Liste hatte.
    Natürlich hatte er sich auf Tourenski zur Partenkirchner Dreitorspitze aufgemacht und das Jagdschloss des Märchenkönigs Ludwig  II . am Schachen besucht. Unter den knapp drei Metern Schnee, die dort oben lagen, war das untere Stockwerk des Holzchalets verschwunden. So ein Bild hatte er noch nirgends gesehen. Natürlich hatte er das Karwendel im Osten des Werdenfelser Landes fotografiert. Natürlich hatte er auch die neuen umstrittenen Anlagen abgelichtet, die in den letzten Jahren auf die Gipfel betoniert worden waren, um für ein paar Euros auch Flachlandtirolern den Kick der Höhe und des Ausgesetztseins zu bieten: das nutzlose Riesenfernrohr im Karwendelgebirge und den Metallbalkon des »AlpspiX« auf den Osterfeldern.
    Und natürlich hatte er die Alpspitze , eine wahre Schönheit von einem Berg, von allen Seiten im Bild festgehalten. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Zur Alpspitze hatte er beinahe ein erotisches Verhältnis entwickelt. Für sie nahm er sich die weich gezeichneten Mädchenmotive von David Hamilton zum Vorbild. Einen Berg, einen Fels von Millionen Tonnen, wie eine fünfzehnjährige halb nackte Balletttänzerin zu fotografieren, das hatte vor ihm noch niemand versucht. Er hatte sie sogar im Hochwinter bei diesem vielen Schnee bestiegen und war mit Ski an ihr abgefahren. Ein lebensgefährliches Unterfangen bei den Verhältnissen der letzten Wochen. Es waren schon genug Skibergsteiger bei wesentlich weniger Schnee die steile Nordflanke von Lawinen hinuntergespült worden. Er hatte es gewagt. Für ein atemberaubendes Bild seiner neuen Geliebten hatte Thien sein Leben riskiert.
    Das tat er für spektakuläre Bilder oft. Eigentlich verdiente er seinen spärlichen Lebensunterhalt damit, sich in Todesgefahr zu begeben. Nicht umsonst war er einer der bekanntesten Steilwandfotografen der Welt. Er hatte in den letzten fünfzehn Jahren alle Verrückten, die auf immer kürzeren Ski immer steilere Hänge und Couloirs abgefahren waren, fotografiert. Dafür hatte er oft Positionen suchen müssen, die noch gefährlicher waren als die direkten Falllinien seiner Freunde, die er für die Webseiten und Magazine der kleinen Gemeinde der Extremskifahrer knipste. Oft hatten sie sich darüber unterhalten, dass er, der wahrscheinlich der Verrückteste von allen war, weil er sich mit zehn Kilo Fotoausrüstung auf Steigeisen in die Wand krallte und als Erster in lawinenträchtige Hänge einfuhr, um die irren Fahrten der anderen schießen zu können, dass ausgerechnet er nie auf den Bildern zu sehen war. Ihm genügte der kleine Fotovermerk »© Thien Hung Baumgartner, GaP«. Und ein Leben voller Spaß, Risiko und Abenteuer.
    Und nun der Riesenauftrag aus den USA . Nicht mehr mit dem von den Spezialausrüstern zusammengeschnorrten Sponsoring-Geld an die hintersten Winkel der Erde fliegen, vier Wochen im Zelt bei zwanzig Grad unter null auf gutes Wetter warten und dann sein Leben für Bilder riskieren, die gerade einmal ein paar tausend Menschen auf der Welt interessierten. Jetzt hieß es: für ein Millionenpublikum die Berge seiner Heimat porträtieren. Der
American Mountaineer
würde nicht nur ganz Amerika seine Heimat Garmisch-Partenkirchen zeigen, sondern Thien Hung Baumgartners persönliche Sicht auf die Berge seines Heimatorts. Und man würde seine Bilder in die ganze Welt weiterverkaufen. Für Bücher. Für Webseiten. Wer wusste, welche Anschlussaufträge sich ergeben würden? Industrie. Werbung. Models. Warum sollte er nicht einmal das Genre wechseln? Warum nicht die Swimsuit Issue von
Sports Illustrated
schießen? Topmodels in der Karibik halb nackt? Für irre Kohle. Alles war möglich. Auch dass Sandra zu ihm zurückkäme.
    Er erstarrte. Alles war möglich – oder nichts. Verdammt. So verblödet konnte nur er sein. Thien Hung Baumgartner, Riesentrottel aus Garmisch-Partenkirchen, vergisst
den
Berg.
Diesen
Berg! Der Gipfel der Unprofessionalität. Er hatte ihn nicht einmal auf die Liste geschrieben, die er Mitte Dezember an Sue in die Redaktion des
American Mountaineer
geschickt hatte.
    Er hatte die Zugspitze schlicht und ergreifend vergessen.
    Den höchsten Berg
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