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Kreuzzug

Kreuzzug

Titel: Kreuzzug
Autoren: Marc Ritter
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Deutschlands, den Berg, der wie kein zweiter in den Alpen für die Geschichte des Alpinismus sprach. Der alles erzählen konnte. Von den Anfängen der Kletterei im 19 . Jahrhundert. Von der Erschließung der Gipfel als Bergsteigerziel. Von seiner Verkabelung mit drei Seilbahnen und Penetration durch einen Zahnradbahntunnel . Von zehntausend Menschen, die sich an einem Tag auf seinem Gipfel und seinem Platt, der großen Gletscherfläche, tummelten. Von Lawinenunglücken, Wetterstationen und Forschungsinstituten. Von Gipfelkreuzen und Bergkapellen. Von Hüttenromantik und Fast-Food-Fraß. Das alles gab es auf 2962  Metern über Normalnull. Und das alles musste noch in seine Fotoreportage über Garmisch-Partenkirchen hinein. Ohne aktuelle Bilder von der Zugspitze konnte er seine restlichen Bilder in die Tonne treten, mochte die Alpspitze noch so verführerisch fotografiert sein.
    Thien tastete nach dem Mobiltelefon, das irgendwo neben dem Bett liegen musste. 10  Uhr 56 . Er riss sich die Decke vom Körper und sprang in seine Skisachen. Er musste es bis Mittag auf den Gipfel schaffen. Die Tage waren kurz. Anfang Januar ging die Sonne um halb fünf nachmittags unter. Sein Fotorucksack stand neben dem Bett, die Ski standen draußen in der Garage. Er fuhr den Laptop hoch und checkte im Internet Staubericht und Wartezeiten der Zugspitzbahn . Alles voll. Klar, es war Freitag. 6 . Januar. Dreikönigstag. Jeder, der irgendeinen Sinn für Winter und Sport hatte, war nach Garmisch-Partenkirchen unterwegs. Es war der letzte Ferientag. Und zudem bot sich ein verlängertes Wochenende. Das mussten die Münchner, Nürnberger und Augsburger noch einmal für einen Trip in die Skigebiete nutzen. Auf der Autobahn A 95  München–Garmisch ging schon lange nichts mehr. Das bedeutete, dass auch die Wege zu den Bergbahnen voll waren und die Parkplätze dort ebenso.
    Also hieß es: mit der Zahnradbahn direkt vom Zugspitzbahnhof im Tal in Garmisch-Partenkirchen. Thien vertraute darauf, dass er schon irgendjemanden vom Personal kennen würde, der ihn an der Warteschlange vorbeilotste.
    Er hatte es nicht weit zu Fuß von der Dachgeschosswohnung seiner Eltern zum Zugspitzbahnhof. Das Zimmer in dem alten Haus am Ufer der Partnach war seine Basisstation. Mit zweiunddreißig gehörte es sich ja eigentlich nicht mehr, dass man zu Hause wohnte. Aber er wohnte ja nicht wirklich hier. Er wohnte zehn von zwölf Monaten irgendwo auf der Welt zu Füßen der großen Wände. Hier war er immer nur kurz auf Zwischenstation. Und in diesem Winter sogar an Weihnachten und Silvester, was nicht immer klappte. Seine Mutter war überglücklich darüber. Aber allmählich ging ihm die Nähe auch auf die Nerven. Und er sicher seinen Eltern auch. Er war froh gewesen, den Garmisch-Job abschließen und sich auf Kamtschatka vorbereiten zu können. Thien liebte seine Eltern über alles, ohne sie hätte er nichts, das wusste er. Und bei Licht betrachtet, hatte er außer seinen Eltern auch kaum mehr als sein Talent für spektakuläre Bergfotos, die Fotoausrüstung mitsamt MacBook und seine verrückten steilwandskifahrenden Freunde, die zwischen Patagonien und Zermatt überall dort auf der Welt lebten, wo die Hänge am gefährlichsten waren.
    Sieben Minuten nachdem er die Tür seiner Dachkammer hinter sich zugeworfen hatte, erreichte Thien den Zugspitzbahnhof. In einer langen Schlange warteten dort Hunderte von Wintersportlern und Tagesausflüglern geduldig auf den Erwerb eines Tickets für eine Berg- und Talfahrt. Thien drückte sich an den Wartenden vorbei in die Halle. Hinter der Kasse erblickte er einen ehemaligen Schulkameraden. Mit einem Anheben seines Fotorucksacks und einer Augenbewegung in Richtung des nächsten abfahrenden Zuges, der bereits hinter dem Bahnhofsgebäude wartete, bedeutete er seinem Spezl die Dringlichkeit, mit der er zum Gipfel musste. Die beiden Einheimischen verstanden sich ohne weitere Erklärungen. Hans Ostler ließ das japanische Paar, das gerade seine Tickets kaufen wollte, warten und lotste Thien durch den Seiteneingang zum wartenden Zug.
    Es war 11  Uhr 16 auf der Standuhr neben den beiden Gleisen. Der Zug hätte laut Fahrplan um 11  Uhr 15 abfahren sollen. Er setzte sich in Bewegung, kaum dass Thien sich im hinteren der zwei Waggons auf den Sitzplatz quetschte, den er drei jugendlichen Snowboardern durch die Ermahnung, sie sollten ihre Rucksäcke gefälligst in den Gepäckablagen und nicht auf den Bänken deponieren, abgetrotzt hatte.
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